Seit 40 Jahren besteht die SuchtHotline München, die sich seit ihrer Gründung zu einer der wichtigsten Anlaufstellen für Suchtkranke, Suchtgefährdete und deren Angehörige entwickelt hat. Rund um die Uhr ist das Telefon der Beratungsstelle besetzt, im Schnitt sucht alle 80 Minuten ein Betroffener den „Draht zur Soforthilfe”. Die Anlässe, um sich an die SuchtHotline zu wenden, sind vielfältig - der Entschluss zur Veränderung, Rückfallgefahr oder die Sorge um einen Angehörigen. Die Anonymität eines Telefonats erleichtert es, über die Sucht zu sprechen. So hat das Angebot der Suchthotline schon viele Menschen auf ihrem Weg aus der Abhängigkeit begleitet und unterstützt.
Die Beratungs- und Therapiestelle unter der Leitung von Dipl.-Sozialpädagoge Christoph-Peter Teich befindet sich seit September unter dem Namen „Tal 19 Am Harras” in der Albert-Roßhaupter-Str. 19 in Sendling. Katharina Sörries sprach mit Christoph-Peter Teich über die SuchtHotline.
Obwohl es auch eine Mail-Adresse gibt, erreichen die meisten Anfragen Sie per Telefon. Wer ruft bei Ihnen an? Sind das alle direkt Betroffene?
Christoph-Peter Teich: Mehr als die Hälfte der Anrufer sind direkt Betroffene, die Hilfe suchen. Aber bei einem sehr großen Anteil handelt es sich um Angehörige, die ja oftmals mehr leiden, da sie sich nicht durch das Suchtmittel „wegbeamen“, sondern die Realität klarer vor Augen haben.
Um welche Arten der Sucht geht es bei Ihnen? Gibt es einen großen Unterschied zwischen Jung und Alt?
Christoph-Peter Teich: So ganz grob lässt sich sagen: Alkohol ist die Droge der Generation 40+, da sich eine Abhängigkeit meistens schleichend entwickelt und die Sucht erst nach einigen Jahren entsteht. Bei Drogen kann das deutlich schneller gehen. Daher sind es oft junge Erwachsene, die sich deshalb an uns wenden.
Es gibt viele Präventivveranstaltungen, auch schon in den Schulen. Zumeist konzentrieren sich diese auf Alkohol oder Drogen, werden Verhaltenssüchte vernachlässigt?
Christoph-Peter Teich: Das kann man schon so sagen, da sie nicht als so gefährlich eingeschätzt werden. Dabei ist Spiel- oder Mediensucht für die Betroffenen genauso zerstörerisch. Bei der Mediensucht wird es jetzt allmählich klarer, wie sehr schon Jugendliche gefährdet sind und Eltern da oft ein schlechtes Vorbild sind.
Am Wochenende mit Alkohol über die Stränge schlagen, ein Computerspiel am Stück durchzocken, jeden Abend online sein oder alles mit den sozialen Medien teilen. Ab wann ist dieses Verhalten eine Sucht?
Christoph-Peter Teich: So generell kann man das nicht definieren. Es sind eher andere Merkmale: Ziehe ich mich von meinen (wirklichen) Freunden immer mehr zurück? Vernachlässige ich Hobbies und Sport? Drehen sich meine Gedanken immer mehr um das abhängige Verhalten und kann ich mir keine Pause mehr auferlegen?
Gerade die Medien- und Internetsucht ist immer wieder ein aktuelles Thema. Kinder und Jugendliche sind durch die sozialen Medien ständig online und haben auch häufig ihr Handy in der Hand. Wie erkennt man Anzeichen für ein Suchtverhalten?
Christoph-Peter Teich: Hier wächst zunehmend ein Problembewusstsein – übrigens auch unter Jugendlichen. Ein Süchtiger kann keine Pausen mehr einlegen: Das Handy liegt beim Essen neben dem Teller, wird ins Bad mitgenommen und liegt auf dem Nachttisch. Es entstehen Entzugserscheinungen wie Nervosität und Unzufriedenheit. Man meint, irgendetwas zu verpassen.
Alkohol in Maßen. Internet-, Fernseh- oder Computerzeiten begrenzen. Können Eltern helfen, eine Sucht vorzubeugen?
Christoph-Peter Teich: Das Wichtigste: Vorbild sein! Wenn der tägliche Konsum von Alkohol beispielsweise normal ist und der Vater „automatisch“ den Feierabend mit einem Bier startet oder die Mutter dauernd bei Facebook ist, sind das Verhaltensweisen, die Kinder nachahmen. Das gilt natürlich auch fürs Rauchen. Daran sterben immerhin fast 100 mal mehr Menschen als an illegalen Drogen. In der Familie ist es sinnvoll, handyfreie Zeiten (z.B. beim Essen) zu vereinbaren.
Wie kann man einem Angehörigen oder Bekannten mit einer Sucht unterstützen?
Christoph-Peter Teich: Hier sind die Möglichkeiten sehr begrenzt, wenn der Betroffene keine Einsicht in sein Verhalten zeigt. Ich kann ihm aber deutlich meine Sorge mitteilen und Tatsachen nennen, die auf die Sucht zurückzuführen sind. Wichtig ist hier, alles zu unterlassen was dem Betroffenen den Leidensdruck nimmt. Nur so besteht die Chance, dass er sich von der Sucht verabschieden will und beispielsweise bei uns anruft. Wer Drogenabhängigen Geld gibt oder Alkoholikern das Bier nach Hause holt verlängert die Sucht. Wirkliche Hilfe ist hier, nicht zu helfen. Angehörige brauchen hier selbst viel Unterstützung.
Es erreichen Sie über 6.000 Anfragen jährlich und ist nur mit hauptamtlichen Mitarbeitern bestimmt nicht zu bewältigen. Wie wichtig sind Ehrenamtliche Helfer für die Arbeit der SuchtHotline?
Christoph-Peter Teich: Wir arbeiten gerne mit Ehrenamtlichen, weil sie bei nur ca. 20 Stunden pro Monat oftmals mehr Geduld beim Zuhören aufbringen. Gerade das ist am Anfang für einen Hilfesuchenden ganz wichtig. Auch ist die Sprache oft den Anrufern ähnlicher. Die Funktion ist manchmal die eines guten Nachbars, der vorurteilsfrei versucht zu verstehen.
Was sollte man als Helfer mitbringen? Kann das jeder machen?
Christoph-Peter Teich: Wir wünschen uns Leute, die offen gegenüber fremden Lebensentwürfen sind und nicht missionieren – in welche Richtung auch immer. Auch wenn wir einige trockene Alkoholiker oder cleane Drogenabhängige unter uns haben, ist das keine Voraussetzung. Interesse und vor allem Einfühlungsvermögen sind wichtig.
Wie kann man als ehrenamtlicher Helfer bei Ihnen einsteigen? Was muss man dazu wissen?
Christoph-Peter Teich: Man kann nur bei der SuchtHotline mitarbeiten, wenn man vorher eine Ausbildung macht, die wir alle 18 Monate anbieten. Die dauert bei uns 10 Abende und 2 Wochenenden. Am 6. März geht’s los (immer dienstags). Man kann sich auf unserer Internetseite www.suchthotline.info (hier gibt’s auch die Anmeldebögen) oder bei der SuchtHotline unter Tel. 282822 informieren - und mit einem Ehrenamtlichen reden, der das schon länger macht. Es gibt dann noch ein gemeinsames Gespräch zur Abklärung, ob es für beide Seiten passt. 20 Stunden im Monat und eine mindestens zweijährige Mitarbeit sollten es schon sein.
Während der Arbeit werden Ihre Mitarbeiter bestimmt mit einer Vielzahl von Problemen und Schwierigkeiten konfrontiert. Wie bereiten Sie ihre Mitarbeiter vor?
Christoph-Peter Teich: In der Ausbildung werden Grundkenntnisse zur Suchtproblematik vermittelt. Man sollte die wichtigsten Anlaufstellen in München kennen, an die weitervermittelt wird. Ganz zentral ist das Erlernen von Gesprächsführung. Hier arbeiten wir nach dem Konzept des „Motivational Interviewings“.
Man hört als Helfer viele schwere Geschichte, die einem nicht immer die Distanz wahren lassen. Wie gehen Sie und Ihre Mitarbeiter damit um? Wo finden die Helfer Hilfe?
Christoph-Peter Teich: Auch nach der Ausbildung wird bei uns kein Ehrenamtlicher allein gelassen: Regelmäßige Fallbesprechungen sind bei uns selbstverständlich (und verpflichtend).
Gibt es feste Abläufe solcher Telefongespräche?
Christoph-Peter Teich: Feste Abläufe gibt es nicht. Jeder Anruf ist einzigartig und wir versuchen, individuell darauf einzugehen. Ratschläge gibt es - wenn überhaupt - aber eher am Schluss eines Gesprächs. Viel besser ist ein gemeinsames Erarbeiten, wie es weitergehen kann.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft der SuchtHotline?
Christoph-Peter Teich: Weiterhin so viele engagierte Ehrenamtliche, denen es Freude macht, anderen zu helfen und dabei auch viel für sich profitieren!
Ein unverbindlicher Informationsabend zur ehrenamtlichen Mitarbeit findet am Dienstag, 23. Januar, um 18 Uhr in der Albert-Roßhaupter-Straße 19 am Harras statt.