Veröffentlicht am 29.11.2021 18:05

„Ein Schatz, der bewahrt und nach allen Kräften gefördert werden muss”


Von Brigitte Bothen
Jos Zegers ist seit 2016 Chefdirigent des Bundespolizeiorchesters München. (Foto: Bundespolizei)
Jos Zegers ist seit 2016 Chefdirigent des Bundespolizeiorchesters München. (Foto: Bundespolizei)
Jos Zegers ist seit 2016 Chefdirigent des Bundespolizeiorchesters München. (Foto: Bundespolizei)
Jos Zegers ist seit 2016 Chefdirigent des Bundespolizeiorchesters München. (Foto: Bundespolizei)
Jos Zegers ist seit 2016 Chefdirigent des Bundespolizeiorchesters München. (Foto: Bundespolizei)

Mit den Themen Inklusion und Montessori-Pädagogik hatte sich Jos Zegers, der Chefdirigent des Bundespolizeiorchesters München nie ernsthaft beschäftigt. Das änderte sich 2018, als er die Aktion Sonnenschein kennenlernte und gemeinsame Projekte wie die Hörspiel-CD „Krippe-Welle“ mit der inklusiven Montessori-Schule verwirklichte. Das habe seine Vorstellung von kindgerechter Erziehung grundlegend verändert, schreibt Jos Zegers in einem Beitrag für die Festschrift zum 50-jährigen Bestehen der Schule. In dem sehr persönlichen Artikel, der hier in Auszügen wiedergegeben wird, schlägt der gebürtige Niederländer einen großen Bogen von Montessori und Inklusion zur demokratischen Gesellschaft.

Eine neue Welt tut sich auf

„Die begeisternden Erfahrungen, die mein Orchester und ich mit der Aktion Sonnenschein machen durften, ließen bei meiner Frau und mir den Wunsch keimen, für unseren Sohn ebenfalls eine inklusive Grundschule mit Montessori-Pädagogik zu suchen. Leider ist das Konzept eines gemeinsamen Unterrichts von Kindern mit und ohne Förderbedarf in meiner niederländischen Heimat weitgehend unbekannt... Umso wichtiger empfinde ich die Aufgabe, die Anliegen der Aktion Sonnenschein in Deutschland aber auch darüber hinaus bekannt zu machen. Denn das ist ein Schatz, der bewahrt und nach allen Kräften gefördert werden muss.

Der richtige Unterricht

Als ich in den 1980er und 1990er Jahren zur Schule ging, war das Unterrichten wie eine Einbahnstraße. Wir bekamen klassischen Frontalunterricht, die Wissensvermittlung ging von der Lehrkraft an der Tafel zu den Schülerinnen und Schülern in den Bänken. Damals war das für mich normal, ich kannte ja nichts anderes. Doch während meines Studiums wurde mir klar, dass es im Leben um mehr geht als darum, möglichst schnell möglichst viel auswendig zu lernen. Es kommt darauf an, dass wir Kompetenzen entwickeln und unsere Kreativität anwenden. Es geht um Qualität statt Quantität, um echtes Verstehen statt bloßem Wissen. Seitdem ich die Aktion Sonnenschein kenne, verstehe ich, was mich an meiner eigenen Schulzeit gestört hat. Deshalb ist es für meine Frau und mich ganz wichtig, für unseren Sohn eine Schule zu finden, die diesem Ideal möglichst nahekommt.

Corona und die Zeit des Nachdenkens

Seit über einem Jahr sind wir aufgrund von Corona auf uns selbst zurückgeworfen. Man bleibt zu Hause, erkennt die Schönheit der Heimat, erkundet und entdeckt die direkte Umgebung. Durch die viele Zeit, die ich nun zusammen mit meinem dreijährigen Sohn verbringen darf, habe ich durch ihn so viel gelernt, was ich mir selbst schon lange abgewöhnt hatte... und sehe, was mir im Erwachsenenalter verloren gegangen ist: Seine bedingungslose Freude im Hier und Jetzt, seine kindliche Neugierde sowie seine natürliche Fantasie und Kreativität.

Wie muss unser Schulsystem funktionieren, damit wir einerseits die kindliche Kreativität erhalten, aber andererseits auch das nötige Wissen vermitteln, damit das Kind in seiner Entwicklung weiterkommt? Es geht für mich dabei vor allem um Verstehen und Empathie. Beides sind Grundpfeiler einer funktionierenden Gesellschaft. Und das Umfeld aus Schule und Familie muss so gestaltet sein, dass diese Grundpfeiler garantiert werden. Die inklusive Montessori-Schule der Aktion Sonnenschein symbolisiert für mich diese Garantie: ein optimal gestaltetes Umfeld im Zusammenspiel mit den Eltern der Kinder und Jugendlichen.

Von der Schule in die Gesellschaft

Was wir heute unseren Kindern in der Schule vermitteln, zeigt sich morgen in unserer Gesellschaft. Wir leben in einer Welt der populistischen Strömungen, in der alles in Frage gestellt wird, auch die gesellschaftliche Solidarität. Wir haben die Verantwortung, unsere Gesellschaft so auszurichten, dass Synergien zwischen den Menschen entstehen und wir nicht nur dem Geld hinterherjagen. Alle müssen an den Segnungen der Gesellschaft teilhaben dürfen. Wenn sich am Ende nur noch die Reichen Kreativität und Selbstverwirklichung leisten können, dann läuft etwas ganz gewaltig schief.

Inklusion wirkt diesen unguten Tendenzen entgegen. Es geht dabei nicht nur darum, dass man mit einem „behinderten“ Kind gemeinsam in einer Klasse ist. Es bedeutet auch, sich mit Menschen aus anderen Ländern, mit anderer Religion, mit anderer Kultur auseinanderzusetzen. Wenn sich die verschiedenen politischen Strömungen gegenseitig nicht mehr zuhören, dann ist eine Gesellschaft zum Scheitern verurteilt.

50 Jahre inklusive Montessori-Schule

Ich wünsche der Montessori-Schule auch für die nächsten 50 Jahre alles Gute!... Ich wünsche mir, dass ihre Bekanntheit wächst und eines Tages diese pädagogischen Konzepte großflächig bildungspolitisch umgesetzt werden. Und wenn das Bundespolizeiorchester München dazu einen kleinen Beitrag leisten kann, dann machen wir das von Herzen gern. Sei es im Rahmen eines Festaktes, eines Benefizkonzerts oder eines Schulkonzerts, in Verbindung mit einem Workshop zur Vorstellung der einzelnen Instrumente und zum selber Ausprobieren – sobald uns Corona dies wieder erlaubt. Kämpfen wir gemeinsam für die Inklusion!”

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