Veröffentlicht am 14.08.2007 00:00

Trudering · S-Bahn hat erstaunliche Reserven

»Es gehört zu den kaum hinterfragten Stereotypen der Münchner S-Bahndiskussion, dass der vorhandene Stammstreckentunnel schon heute völlig überlastet sei«, sagt Georg Kronawitter (CSU), Vorsitzender des Bezirksausschuss (BA) Trudering-Riem. Meist reiche als Begründung, dass derzeit 780.000 Menschen die S-Bahn benutzen, was dem Dreifachen dessen entspräche, womit man 1972 beim Start des MVVs gerechnet habe.

»Stimmt nicht«, sagt der Truderinger BA-Vorsitzende und verweist auf eine aktuelle Erhebung, die er zusammen mit seiner Parteikollegin Magdalene Miehle angestellt hat. Das erstaunliche Ergebnis: selbst in der morgendlichen »rush-hour«, in der Zeit zwischen 6.30 und 9.30 Uhr, weise die S-Bahnstammstrecke Reserven von 25 Prozent auf. Wie kommt das?

Magdalena Miehle hat an einem Dienstagmorgen im S-Bahnhof Rosenheimer Platz Buch geführt, welche S-Bahnen als Langzug und welche nur als Vollzug verkehren. Während ein dreiteiliger Langzug die Bahnsteiglänge voll ausnutzt und somit keine Reserven bleiben, lässt ein zweiteiliger Vollzug eine Reserve von 33,3 Prozent. Nur ca. jede dritte S-Bahn sei in der Hochlastphase ein Langzug. Bilde man das statistische Mittel aller S-Bahnen, so ergäbe sich eine rechnerische Auslastung von 75 Prozent und somit eine Kapazitäts-Reserve von 25 Prozent.

Fahrgäste verloren: »Mehr S-Bahngarnituren sind derzeitig aber auch nicht nötig, da die S-Bahn-Stammstrecke durch den Ausbau der U-Bahn und durch die neuen peripheren Verknüpfungspunkte der U-Bahn mit der S-Bahn deutlich an Fahrgästen verloren hat«, stellt Kronawitter fest und verweist auf die Beispiele Feldmoching und Trudering. »1999 – vor der U2-Ost – fuhren auf dem S4-Abschnitt zwischen Trudering und Berg-am-Laim über 35.000 Fahrgäste täglich, während die MVV GmbH 2002 – drei Jahre nach dem U-Bahnanschluss in Trudering – in diesem Streckenabschnitt nur noch 29.500 Fahrgäste gezählt hat.«

Besonders krass sei die Situation auch am anderen Ende der U2 in Feldmoching. 59 Prozent der Bahnhofsbenutzer sind dort Umsteiger zwischen S- und U-Bahn – ein Spitzenwert im MVV-Netz, der zweitplatzierte Bahnhof Marienplatz weist hier nur einen Wert von 37% auf.

Damit setze sich eine Entwicklung fort, die mit der Inbetriebnahme der U5 zwischen Hauptbahnhof und Ostbahnhof 1988 begonnen habe: der S-Bahn-Stammstreckentunnel habe seither zehn Prozent seiner Fahrgäste eingebüßt, stellt der promovierte Ingenieur und Verkehrsexperte fest und bringt es auf den Punkt: »Die U-Bahnverknüpfungen stärken die S-Bahn-Außenäste und entlasten die Stammstrecke - eine sehr erfreuliche Netzwirkung ist das.«

Kronawitter legt noch nach: »Die eigentlichen Kapazitätsreserven der S-Bahnstammstrecke sind viel höher. Denn die Münchner U-Bahnen befördern in ihren höchstbelasteten Querschnitten (z.B. Marienplatz - Odeonsplatz) genausoviele Fahrgäste wie die S-Bahn auf ihrer Stammstrecke, nämlich ca. 200.000 Personen pro Tag – obwohl die U-Bahnsteige deutlich kürzer (120m statt 200m) als die S-Bahnsteige seien und auch in Spitzenzeiten nur alle 2,5-Minuten statt alle 2 Minuten wie bei der S-Bahnstammstrecke bedient werden.

Gerade angesichts der offenkundigen Kostenprobleme beim zweiten S-Bahntunnel sei nun eine vorurteilslose Bestandsaufnahme dringend nötig, zu der auch die vorgestellten Erkenntnisse zählen. »Alles andere wäre eine Vergeudung wertvollster volkswirtschaftlicher Ressourcen«, so Kronawitter.

Keinen Zweifel lässt er daran, dass bei der S-Bahn Kapazitätssteigerungen vordringlich sind, gerade auf den Mischverkehrsstrecken im Außenbereich wie zwischen Riem und Markt Schwaben auf der S2-Ost, auf der S8 und auf der S1.

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