Dass Eva Umlauf an diesem Tag im Max-Born-Gymnasium sitzen und mit Elftklässlern über den Holocaust sprechen kann, verdankt sie einer kaputten Lokomotive. 1942 war es, als die erst zweijährige Eva gemeinsam mit ihren Eltern aus dem tschechoslowakischen Arbeitslager Nováky nach Ausschwitz deportiert wurde. In der Schule las die heute 82-Jährige aus ihrer Autobiografie „Die Nummer auf deinem Unterarm ist blau wie deine Augen“.
Die kleine Eva war im letzten Zug, der Ende Oktober 1942 das Vernichtungslager erreichen sollte. Weil die Lok auf der Strecke ausfiel, stand der Zug drei Tage lang auf offener Strecke, bis er am 3. November im Lager ankam. Zu spät für die Gaskammer. Die letzte Vergasung von 1200 Leuten aus Theresienstadt hatte am 30. Oktober stattgefunden. „Danach wurde die Gaskammer gesprengt“, erzählte die ehemalige Kinderärztin und Psychotherapeutin, die 21 Jahre lang in Germering praktiziert hatte.
Viele Jahre lang hatte sie diesen Teil ihrer Geschichte privat gehalten. Bis sie vor elf Jahren einen Herzinfarkt erlitt. Auf der Intensivstation habe sie geschworen, dass sie über die damalige Zeit berichten werden, wenn sie überlebt. Mit einer Historikerin hat sie sich danach auf Spurensuche begeben, sie sei damals zu klein gewesen, um sich aktiv zu erinnern. 2016 ist ihr Buch „Die Nummer auf deinem Unterarm ist blau wie deine Augen“ erschienen.
Geboren wurde Eva in Nováky, einem Arbeitslager für Juden. Auf der Leinwand sieht man das Foto einer jungen Mutter, die sich lächelnd zu einem kleinen Mädchen beugt. Man könnte meinen, dass es sich um eine Familienidylle handelt, wenn da nicht der Zaun mit dem Stacheldraht im Hintergrund zu sehen wäre. Ein Propagandafotograf hat die Szene festgehalten. Das Baby war das erste Kind, das in diesem Zwangsarbeiterlager geboren wurde.
Im Buch werden Episoden aus dem Lagerleben beschrieben und mit anderen Berichten in Beziehung gesetzt. Eva Umlauf reflektiert die Erzählungen, dabei kommen ihr ihre Erfahrungen als Psychotherapeutin und Ärztin zugute.1944 wurden Eva und ihre Eltern mit dem Zug ins Lager II nach Birkenau geschickt. Nach der Ankunft durchliefen sie eine menschenunwürdige Prozedur. „Ewiges Warten in eisiger Kälte. Ablegen unserer Kleider. Abgabe jeglichen eigenen Besitzes. Kontrolle sämtlicher Körperöffnungen. Rasur aller Körperbehaarung. Desinfektion. Ausstattung mit (…) Lumpen, Registrierung, und das heißt im Falle Auschwitz auch: Tätowierung“.
Auch das kleine Mädchen blieb nicht verschont. Die Episode, als die Nadeln in ihren kleinen Unterarm eindringen, werden im Buch aus der Perspektive der Mutter beschrieben: „Du schriest kurz auf, dann hörtest du auf zu atmen, Dein Gesicht lief blau an, und auf einmal sacktest du ohnmächtig zusammen“. Ein „respiratorischer Affektkrampf“ diagnostizierte Umlauf rückwirkend. Seitdem trägt sie die Nummer A-26959. „Meine Nummer war immer schon da (…) so gehört sie zu mir wie jedes Muttermal, jede Falte, jede Narbe. Sie verbindet mich mit meinen Schicksalsgenossen“, liest Eva Umlauf.
Am 27. Januar 1945 wurde Auschwitz befreit. Ihr Vater hat nicht überlebt. Sie sei so krank gewesen, dass der Arzt der Mutter geraten hatte, „vergessen sie das Kind“.
Auf die Frage eines Schülers, ob sie Angst davor habe, dass sich die Geschichte wiederholen könnte“, antwortete die Zeitzeugin mit einem einzigen Wort: „Ja“.