Druck ist wohl ein Wort, welches die Fußballer des FC Bayern München zur Genüge kennen. Die Erwartungen von Fans, Trainern & Co sind gwöhnlich hoch. In der laufenden Saison konnten die Spieler diese bislang nur bedingt erfüllen. Die einst von Siegen so verwöhnte Mannschaft muss immer öfters auch ein Unentschieden oder sogar eine Niederlage einstecken. Vielleicht ist der dauerhafte Druck für den ein oder anderen alteingesessenen Start zu hoch, liegt da die Vermutung nahe.
„ Nur“ als Tabellenzweiter ging der FC Bayern München hinter seinem Erzrivalen Borussia Dortmund in die Winterpause. Dennoch startete die Rückrunde kaum besser. Im Gegenteil: Mittlerweile ist der Rekordmeister auf den dritten Tabellenplatz abgerutscht und ist nun punktgleich mit Mönchengladbach - allerdings mit schlechterer Tordifferenz. Eigentlich war im Winter-Trainingslager die Sprache davon, einen Angriff auf den Tabellenersten zu starten. Nun kämpft der FC Bayern München erst einmal darum, den Anschluss nicht zu verlieren. Längst haben der Coach Nico Kovac und Präsident Uli Hoeneß ihre Konsequenzen aus der enttäuschenden Hinrunde gezogen: Alle Spieler stehen in Frage, ließ Hoeneß vergangenen November verlauten. „Man muss den Spielern schon sagen, dass sie die nächsten drei, vier Monate unter Druck sind“, so die klare Botschaft . Warum? Ganz einfach: Im kommenden Sommer soll der FC Bayern München ein ganz neues Gesicht bekommen – und in diesem Zuge auch viele neue Gesichter.
Dementsprechend kann das für einige aktuelle Spieler aus dem Kader bedeuten, dass sie ihren Platz räumen müssen. Es gehe darum, zu sehen „wer zu gebrauchen ist und wer nicht“, machte Hoeneß deutlich. Spekuliert wird über Transfers in Höhe von 200 Millionen Euro. Für die Spieler bedeutet das: Wer nicht leistet, wird unter Umständen gnadenlos ersetzt. Ob dieser Druck die richtige Motivation ist, bleibt allerdings zweifelhaft. Denn oftmals resultieren im Fußball die mittelmäßigen Leistungen nicht aus mangelnder Motivation oder zu wenig Druck – sondern im Gegenteil eher zu viel. Die Stars aus der Bayern-Riege stehen nicht nur Woche für Woche in der Bundesliga auf dem Feld. Sie sind stattdessen auch in der Champions League, beim DFB-Pokal sowie bei den Länderspielen mit von der Partie. Das gilt zumindest für viele der Weltstars, welche aktuell im roten Trikot auflaufen.
„ Es gibt viel zu viele Spiele und zu wenig Urlaub“, sagte Nationalspieler Toni Kroos bereits im Jahr 2014 in einem Interview . Weiterhin führte er fort: „Ich bin der Meinung, dass die Belastung deutlich zu hoch ist. Gerade für Nationalspieler, die auch mit ihren Vereinen international spielen.“ Dies sei der Hauptgrund für die große Anzahl an Verletzungen, unter denen aktuell auch der FC Bayern München zu leiden hat. Der Riss des Syndesmosebands im linken Sprunggelenk von Kingsley Coman, die Innenbandverletzung von Rafinha oder die Verletzung des Seitenbandes im rechten Daumen des Nationaltorhüters Manuel Neuer sind nur einige Beispiele, welche die bisherige Saison beim FC Bayern München markiert haben. Kroos ist sich sicher, der Körper bräuchte mehr sowie längere Erholungsphasen, um sich ausreichend regenerieren zu können . Alternativ könnten die Kader vergrößert werden, doch kein Verein wolle sich 30 oder sogar 35 hochrangige Spieler leisten.
Fakt ist also: Es gibt nicht den einen Grund für den aktuell ausbleibenden Erfolg des Rekordmeisters. Stattdessen spielen dabei von den Verletzungen über die Taktik bis hin zum vergleichsweise alten Kader beim FC Bayern München viele verschiedene Faktoren eine Rolle. Der hohe Druck sowie die große Anzahl an Spielen ist dabei aber keinesfalls außer Acht zu lassen. Das Problem an der Sache ist: Eine Entspannung der Lage ist vorerst nicht in Sicht.
Ganz im Gegenteil, wird es für Fußballer mit Doppelbelastung in Zukunft sogar noch mehr Spiele auf dem Plan geben. Gemeint sind damit die Nationalspieler, welche nämlich nicht nur in Vereinen wie dem FC Bayern München international mitspielen, sondern für die nun auch wieder die Länderspiele im Zuge der EM-Qualifikation anstehen. Der Bayern-Kader umfasst aktuell acht deutsche Nationalspieler, darunter Thomas Müller, Manuel Neuer, Jérôme Boateng sowie Mats Hummels. Meritan Shabani und Christian Früchtl gehören der Juniorenmannschaft an und auch andere Stars wie Robert Lewandowski (Polen), Thiago (Spanien) oder Corentin Tolisso (Frankreich) stehen regelmäßig für ihre Nationen bei Länderspielen auf dem Platz. Am 21. März 2019 startet die Qualifikation für die Europameisterschaft 2020. Für die deutschen Nationalspieler bedeutet das acht zusätzliche Spiele.
Hinzu kommen die Freundschaftsspiele, erstmalig wurde die Nations League ausgetragen und im nächsten Jahr steht natürlich die EM selbst an. Diese wiederum wurde seit dem Jahr 2016 auf 24 teilnehmende Mannschaften ausgeweitet, was auch zukünftig erst einmal so bleiben soll – Tendenz steigend. Denn eine Vergrößerung der Teilnehmerzahlen bringt stets auch eine Erhöhung der Einnahmen mit sich und liegt damit im kommerziellen Interesse. Für die Fußballer bedeutet das allerdings noch mehr Spiele und somit einen noch größeren Nachteil gegenüber Konkurrenten, die eben nicht zusätzlich international unterwegs und damit ausgeruhter sind. Kein Wunder also, dass es immer mehr Überraschungen gibt – das Vorrundenaus der deutschen Nationalmannschaften bei der WM 2018 beispielsweise, den Sieg von Portugal bei der EM 2016 oder die 3:1-Niederlage des FC Bayern München gegen den Tabellensiebten Leverkusen.
Die deutsche Nationalmannschaft hätte erschöpft gewirkt, hieß es immer wieder nach der historischen WM-Niederlage in Russland. Angesichts der aufgeführten Zahlen, ist das eigentlich kein Wunder. Der Leistungsdruck im deutschen Profifußball ist so hoch, dass er sogar immer mehr Spieler psychisch krank macht. Lewandowski, Deisler, Enke, Rangnick – eine Liste von Namen, die ein tieferliegendes Problem aufdeckt, das auch im deutschen Fußball oder beim FC Bayern München nicht länger ignoriert werden sollte. Der Druck, die Verletzungen und die Anfeindungen hätten ihn krank gemacht, verrät der einstig als größtes deutsches Nachwuchstalent betitelte Sebastian Deisler. Seine Karriere fand mit der Diagnose „Depressionen“ ein jähes Ende. Dennoch kann er froh über sein Schicksal sein, denn er ist zumindest noch am Leben. Weniger Glück hatte Robert Enke, welcher sich im Jahr 2009 das Leben nahm. Ebenso im Jahr 2016 der Fußballtrainer Sascha Lewandowski. Seine Diagnose: Burnout-Syndrom, das Ausgebranntsein (auch) durch den enormen Leistungsdruck. Auch der heutige Sportdirektor und Interuimstrainer von RB Leipzig Ralf Rangnick ließ 2011 bei seinem Rücktrickt mit folgendem Zitat aufhorschen:
„ Nach langer und reiflicher Überlegung bin ich zum Entschluss gekommen, dass ich eine Pause brauche. Mein derzeitiger Energielevel reicht nicht aus, um erfolgreich zu sein und insbesondere die Mannschaft und den Verein in ihrer sportlichen Entwicklung voranzubringen. ”
Das bedeutet nicht, dass Profifußball oder der Leistungsdruck, wie er beispielsweise beim FC Bayern München herrscht, die Spieler zwangsläufig in eine Depression treiben. Dennoch darf die Last, welche auf ihren Schultern ruht, nicht unterschätzt werden – und eben diese kann nicht jeder auf Dauer tragen. Ein Problem, das übrigens nicht nur in Deutschland und auch nicht nur im Fußball zu finden ist. Stattdessen leiden oder litten viele Spitzensportler unter Depressionen: Skispringer Sven Hannawald, Boxweltmeister George Foreman, Torwart Gianluigi Buffon oder der Stürmer Leigh Griffiths sind dafür nur einige wenige von vielen Beispielen.
Die Gründe für die Erkrankung sind von Fall zu Fall unterschiedlich. Depressionen zählen mittlerweile beinahe als Volkskrankheit: Jeder zehnte Deutsche leidet im Laufe seiner Lebens unter dieser psychischen Erkrankung. Ein hoher Leistungsdrucks sowie körperliches Übertraining können das Risiko aber deutlich erhöhen, so das Ergebnis einer Studie aus dem Jahr 2010 . Die Anzahl der Spiele sowie den Druck herunterzufahren und den Fußballern mehr Regenerationszeiträume zu geben, könnte also durchaus ein erster wichtiger Schritt in die richtige Richtung sein – und somit auch deren Leistungsfähigkeit wieder steigern.
Zu viel Druck, auch – aber nicht nur – durch die geplante Transfer-Offensive, könnte also durchaus eine Antwort auf die Frage sein, was aktuell mit dem FC Bayern München und der deutschen Nationalmannschaft los ist. In seinem Intervier hat Toni Kroos bereits zwei Lösungsvorschläge angeführt: Es braucht mehr Urlaub oder größere Kader. So lange sich die Problematik aber nicht ändert, wird es wohl auch in Zukunft immer mehr Überraschungen geben, bei welchen die „Kleinen“ gegen die „Großen“ gewinnen. Und leider bleibt zu befürchten, dass sich auch die Problematik mit den Depressionen im Profifußball weiter verschärft.