„Titus“ ist heute der Star. Das Pony steht im Mittelpunkt zweier Schulstunden, in denen vier zweite Klassen der Grundschule an der Camerloherstraße „gecoacht” werden. Das heißt: Sie trainieren aufs Höchste konzentriert mit Daniela Ben Said im Schulhof, was es heißt, mit einem Pferd umzugehen. Dabei sollen sie etwas für sich lernen: über Freundschaft, Verantwortung, Zusammenarbeit, Selbstbewusstsein und Angst. „Setzt euch mal auf die Knie eurer Mitschüler.“ „Pferdeflüsterin“ Ben Said dirigiert die über hundert Kinder wie „Titus“ auf den richtigen Platz. „Der Kreis muss ganz eng sein. Ja super!“ Worauf es bei dieser Übung ankommt, merken die Kinder sehr schnell: Sie müssen sich aufeinander verlassen können. Sonst purzeln alle im Kreis durcheinander. Ganz ähnlich laufe es im Unterricht. „Wenn ihr in der Klasse zusammenarbeitet, müsst ihr euch aufeinander verlassen können.“ Normalerweise bietet Ben Said „horsecoaching“ Führungskräften in Unternehmen gegen Bezahlung an. Den Kindern der Schule in der Camerloherstraße jedoch schenkte sie ihre Zeit: „Mein Ziel ist es, Kindern die Zukunftsangst zu nehmen.“ Die „erlebnispädagogischen Schulstunden“ hatte die Vorsitzende des Elternbeirats, Marion Kleditzsch vermittelt.
Vom „Coach“ erfahren die Kinder, dass es Zeiten gegeben hat, in denen es „Titus“ schlecht ging. Sie habe ihn „halb verhungert“ gekauft, erzählt Ben Said. Die Kinder wollen wissen: „Für wie viel Geld?“ Für 300 Euro erfahren sie. Ein „Gleichnis“ mit einem Zehn-Euro-Schein eröffnete die Schulstunde ganz anderer Art. Die Pferde- und Menschentrainerin, die mit mehreren Ponys, Pferden, Gänsen, Schafen und einem Hund auf einem Bauernhof bei Osnabrück lebt, zeigt den Kindern einen Zehn-Euro-Schein und fragt: „Wer will den haben?“ „Ich, ich, ich!“ schreien alle. Daraufhin wirft ihn die Trainerin zu Boden und steigt mit den Schuhen darauf. „Wer will ihn jetzt noch haben?“ Damit will sie deutlich machen: „Auch wenn einmal etwas nicht klappt, seid ihr etwas wert. Beim nächsten Mal wird es besser.“ Ben Said: „Lasst euch nicht entmutigen, ihr seid immer wichtige Menschen, jeder von euch kann etwas.“
Als die Zweitklässler „Titus“ an der Leine und mit der Peitsche im Kreis an Mitschüler weiterreichen sollen, wird es schwierig. Immer wieder läuft das Tier davon. Ben Said: „Ihr habt euch alle nur auf das Pony konzentriert. Dabei ist auch die Peitsche wichtig. Ihr dürft Titus nicht einfach laufen lassen. Ihr seid für ihn verantwortlich!“ Auf den Unterricht übertragen, bedeute das, gut miteinander umzugehen und als Gruppe zusammenzuarbeiten. Jeder einzelne sei dafür verantwortlich, dass es in der Klasse gut laufe, erklärt die Trainerin. Auf ihre Frage: „Habt ihr schon einmal Angst gehabt?“ antworten die meisten „Ja“. Darauf Ben Said: „Angst könnt ihr überwinden.” Vor „Titus“ zum Beispiel müsse niemand Angst haben. Die Trainerin: „Ihr müsst dem Pferd zeigen, dass ihr keine Angst habt, ihr seid der Chef für das Pferd! Ihr müsst ihm die Richtung weisen.“ Bei Ben Said lernen die Kinder, mit erhobenen Händen leise zu klatschen, denn: „Ein Pferd hört zehnmal lauter als Menschen.“ Sie erfahren, dass sie nie hinter einem Pferd stehen sollten, weil es ausschlagen könnte. Und sie sehen, wie sanft die Trainerin mit „Titus“ umgeht. Ben Said: „Auch ihr sollt sanft miteinander umgehen und euch in der Pause nicht schubsen.“
Mit den Worten: „Diese zwei Unterrichtsstunden werden allen unvergesslich bleiben“, bedankte sich Schulleiterin Ilse Schneller bei Daniela Ben Said. Ein solches Training biete den Lehrkräften viele Anknüpfungspunkte, das Thema in einer weiteren Stunde nachzubereiten. Auf Ben Saids Frage zum Ende der Stunde: „Habt ihr Lust auf die Schule“ hält sich die Begeisterung der Zweitklässler in Grenzen. Erst als „Titus“ wieder in seinen Anhänger geführt worden war, konnte der Schulalltag weitergehen.