Die ehemalige Münchner Stadträtin Lydia Dietrich ist seit sechs Jahren Geschäftsführerin der Frauen*hilfe München. Im Interview mit Redakteurin Elisabeth Schönberger erklärt sie, welche Präventionsarbeit ihre Hilfseinrichtung leistet und was es ihrer Meinung nach bräuchte, um Häusliche Gewalt effektiv zu bekämpfen.
In Deutschland fehlen ca. 14.000 Frauenhausplätze, bayernweit sind es ca. 2.600. Wie ist die Situation im Münchner Frauenhaus?
Lydia Dietrich: In der Regel haben wir Wartelisten, allerdings warten die Frauen* bei uns maximal zwei bis drei Wochen, was dennoch eine beträchtliche Zeitspanne sein kann. Die Problematik mit den Frauenhausplätzen wird ein wenig verwässert durch die angespannte Wohnungssituation in München: Die Frauen* warten oft bis zu zwei Jahren auf eine Wohnung. Darüber hinaus haben wir in Deutschland eine hohe Dunkelziffer an Partnerschaftsgewalt, d.h. nur rund 30 Prozent der Frauen*, die Partnerschaftsgewalt erleben, suchen Hilfsangebote auf. Unser Ziel ist es, mehr Frauen* zu erreichen und das Thema stärker im gesellschaftspolitischen Kontext zu problematisieren. Es ist eine katastrophale Situation, wenn jedes Jahr rund 150.000 Frauen* in Deutschland Opfer von Partnerschaftsgewalt, und ca. 150 Frauen* ermordet werden. Rechnet man die Dunkelziffer mit ein, brauchen wir in der Tat wesentlich mehr Frauenhausplätze.
Wie finanziert sich die Frauen*hilfe München?
Lydia Dietrich: Die Frauen*hilfe München wird sowohl bei der Beratungsstelle als auch beim Frauenhaus von der Stadt gut finanziert, sie ist hier eine verlässliche Partnerin. Eine weitere geringere Finanzierung kommt vom Freistaat, diese fällt aber oft sehr unterschiedlich aus und ist daher nicht verlässlich.
Die Frauen*hilfe kooperiert mit dem Münchner Informationszentrum für Männer (MIM). Inwiefern hilft diese Zusammenarbeit den Familien?
Lydia Dietrich: Dieses Modell nennt sich Münchner Modell nach dem Sonderleitfaden oder auch gerichtsnahe Elternberatung. Die Frauen* und Männer werden von dem Familiengericht zugewiesen, wenn sie einverstanden sind. Die Frau* geht dann in die Beratung der Frauen*hilfe, der Partner muss eine mehrere Monate dauernde Täterarbeit in der Beratungsstelle von MIM durchlaufen. Danach werden sie in einem gemischten Team aus Frauen*hilfe und MIM beraten. Das Ziel ist die Sicherstellung des Kindeswohls und die Regelung des Umgangs. Dieses Modell hilft den Familien sehr, da hier das Wohl der Kinder im Vordergrund steht und die Frau* begleitend beraten wird. Es hilft auch, da die gewalttätigen Partner die Möglichkeit haben, ihr Verhalten zu ändern und damit die Rückfallquote geringer wird.
Um Gewaltspiralen zu durchbrechen, plädieren Sie für mehr Prävention. Dazu zählt die Aufklärungsarbeit über Häusliche Gewalt an Schulen. Wie sieht diese konkret aus?
Lydia Dietrich: Wir arbeiten in einem gemischten Team mit MIM zusammen im Präventionsprojekt „Kribbeln im Bauch – Beziehungen ohne Gewalt“. Der Präventionsworkshop fördert wertschätzende intime Beziehungen von Jugendlichen und klärt über Formen und Folgen von Beziehungsgewalt auf. Mit einer wertschätzenden Haltung wird ein respektvoller Umgang der Jugendlichen mit sich selbst und dem Gegenüber erarbeitet. Positive Konfliktlösungen sollen eingeübt und die Unterstützungspotentiale von Peers sichtbar gemacht und gestärkt werden. Die Teilnehmenden erhalten außerdem Informationen über Warnsignale für gewaltbelastete Beziehungen und lernen professionelle Hilfs-und Beratungsangebote kennen. Der Workshop richtet sich an Jugendliche und junge Erwachsene ab der 8. Klasse. Erreicht werden sollen Teenager in Schulen und in der Jugendarbeit. In den Workshops lernen Jugendliche mit Gefühlen von Verliebtheit, Lust und erwartungsvoller Freude, aber auch mit Angst, Wut, Enttäuschung und Verletztheit umzugehen. Neben der Auseinandersetzung mit Gefühlen geht es auch um Werte, Orientierungen und Einstellungen im Hinblick auf Liebe, Partnerschaft, Männer- und Frauenrollen sowie um die Einschätzung dessen, was öffentlich und was privat, was in einer Beziehung akzeptabel und was nicht in Ordnung bzw. was Gewalt ist. Interessierte Schulen können sich direkt an uns wenden.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Frauen*hilfe München von der Politik?
Lydia Dietrich: Ich wünsche mir, dass die Istanbul Konvention endlich tatkräftig und ressourcenorientiert umgesetzt wird. Papiere zur Gleichstellung von Frauen* und Männern sind genügend vorhanden, an der Umsetzung hapert es allerdings massiv. Darüber hinaus wünsche ich mir mehr Aufmerksamkeit von allen politischen Akteur*innen für das Thema Gewalt gegen Frauen* und vor allem klare politische Vorgaben und Bekenntnisse, diese zu bekämpfen. Die Stadt München geht hier vorbildlich mit ihren Aktionsplänen voran. Da dies nur mit einer aktiven Gleichstellungspolitik gelingen wird, wünsche ich mir auf allen Ebenen der politischen Landschaft eine massive Steigerung, um die Gleichstellung von Frauen* und Männern zu realisieren.
Sie erleben Gewalt in der Partnerschaft? Sie sind nicht allein! Die Frauen*hilfe ist immer erreichbar, am Tag und in der Nacht:
Tel. 089/354830