Andreas Schmiedel ist Diplom-Sozialpädagoge sowie Fachkraft für Anti-Aggressivitäts-Training und Coolness-Training. Seit vielen Jahren arbeitet er mit Tätern, die häusliche Gewalt oder sexualisierte Gewalt gegen Kinder verübt haben. Zudem berät er von Gewalt betroffene Männer. Schmiedel ist Leiter der Fachstelle des Münchner Informationszentrums für Männer e.V. (MIM), das seit 1988 in verschiedenen Bereichen der Gewaltrückfallprävention tätig ist. Im Gespräch mit Redakteurin Elisabeth Schönberger erklärt er, wieso Gewalt männlich ist, warum Männer zuschlagen und wie Täterarbeit hilft, Gewalt zu verhindern.
Wie das Bundeskriminalamt berichtet, sind 240.547 Menschen im Jahr 2022 Opfer von häuslicher Gewalt geworden. Das sind 8,5 Prozent mehr als im Vorjahr. Betroffen sind mit 71,1 Prozent vor allem Frauen, die Täter sind zu 76,3 Prozent männlich. Worauf führen Sie zurück, dass Männer häufiger gewalttätig werden als Frauen?
Andreas Schmiedel: Körperliche Gewalt hat in der Gesellschaft eine klare Zuweisung, sie ist männlich. Frauen wird sie weder zugestanden noch zugeordnet. Das ist sozialisiert, sprich, von klein auf anerzogen. Bei Prügeleien im Sandkasten mit der Schaufel gibt es zunächst keinen geschlechtsspezifischen Unterschied, aber es wird unterschiedlich darauf reagiert. Ein Mädchen fällt bei Gewaltanwendung aus der Rolle, sie wird eher sanktioniert. Bei Jungs hingegen wird es als normal angesehen, dass sie sich früher oder später hauen. Deshalb können sie Gewalt auch besser kommunizieren. Sie erzählen ihre Geschichte darüber, das nennen wir Legendenbildung. In diesen Legenden sind immer die Anderen schuld: Sie sind einem überlegen, haben angefangen und die Gewalt somit verdient. Oder sie waren „respektlos“, haben die falsche Herkunft, Religion oder finden den „falschen“ Fußballverein gut. Mit der gleichen Begründung werden übrigens auch Kriege geführt - ganz gleich, ob aktuelle oder vergangene. Solche öffentliche Gewalt ist männlich und kann Männlichkeiten bilden, weil der Gegner überhöht wahrgenommen, und die Auseinandersetzung mit ihm in eine Männlichkeitsgeschichte eingebettet wird.
Ist das auch die Erklärung für häusliche Gewalt?
Andreas Schmiedel: Im Bereich der häuslichen Gewalt gibt es zwei Probleme mit dieser Argumentationskette. Erstens, die Person, gegen die sich die Gewalt richtet, hat sich der Mann für seine soziale Beziehung selbst gewählt. Zweitens, ist die Frau laut unserer gesellschaftlichen Logik immer schwächer. Schlägt Mann also zu, hat er zwei Probleme nebeneinander: Sie kommt aus dem sozialen Umfeld und ist Frau. Diese Form der Gewalt wird als feige angesehen, sie ist schambesetzt und damit schlecht nach außen kommunizierbar. Gesellschaftlich wird häusliche Gewalt deshalb externalisiert, also Randgruppen, Migranten und Asozialen zugeschrieben. Das ist natürlich absoluter Quatsch! Partnerschaftsgewalt findet mitten in unserer Gesellschaft statt, in unserer Nachbarschaft, in unseren Familien, in unserem sozialen Umfeld. Sie zieht sich durch alle Kulturen und Schichten.
Wie rechtfertigen die Männer, mit denen Sie arbeiten, ihre Gewaltanwendung gegen ihre Partnerinnen?
Andreas Schmiedel: Wenn Männer zu uns kommen, fangen sie in der Regel immer damit an, wie doof ihre Frau ist. Es ist unglaublich, wie viele mit Borderlinerinnen zusammen sind (lacht). In Wahrheit steckt hinter Partnerschaftsgewalt ein Muster. Kommen wir zurück zur Sozialisation: Mädchen lernen früh, ihre Gefühle zu kommunizieren. Jungs lernen eher, Konflikte auszuagieren. Fühlen Männer sich in einer Konfliktsituation unterlegen und machtlos, wenden sie Gewalt an, um wieder in einen Status der Selbstwirksamkeit zu gelangen. Damit stellen sie die gesellschaftliche Hierarchie zwischen Mann und Frau wieder her. Diese Gewalt ist schambesetzt. Anfangs hören wir oft die Formulierung „mir ist die Hand ausgerutscht”. Solchen Männern sage ich immer, dass sie zum Neurologen gehen sollen. Wenn sie ihre Hand nicht unter Kontrolle haben, was sollen wir dann machen? Solche Ausreden lassen wir hier nicht gelten.
Kann Täterarbeit häusliche Gewalt verhindern?
Andreas Schmiedel: Gewalt ist kein rein männliches Problem, sondern ein gesellschaftliches. Männlich-gesellschaftliche Gewaltlogik wird in der Sozialisierung auch von Frauen reproduziert, sonst gäbe es sie nicht mehr. In manchen Familien hat Gewalt eine lange Tradition. Bei der Täterarbeit schauen wir uns auch die Biografien der Männer an. Viele von ihnen haben in ihrer Kindheit selbst Gewalt erfahren; dieses Verhalten ist also erlernt und wird oft über Generationen weitertransportiert. Das ist eine Erklärung für Gewaltanwendung, aber keine Entschuldigung! Nur wenn Männer die Verantwortung für ihr gewalttätiges Handeln übernehmen, können sie etwas an sich ändern. Wir setzen sie also nicht mit ihrer Tat gleich, sondern respektieren sie dafür, dass sie sich mit ihrem Problem auseinandersetzen und an sich arbeiten wollen. Wenn sie unsere Gruppenphasen durchlaufen, machen viele einen sehr bereichernden Entwicklungsprozess durch: Sie kommen sich selbst näher und lernen, bei Konflikten nach konstruktiven Lösungen zu suchen. Sie fühlen sich nicht mehr als der Depp, der verloren und zugeschlagen hat. Diese Art der Prävention ist sehr effektiv, aber sie braucht Zeit, da Gewalt nun mal nicht plötzlich vom Himmel fällt.
Münchner Informationszentrum für Männer e.V.
Feldmochinger Str. 6
80992 München
Tel. 089/5439556
Mail: info@maennerzentrum.de
www.maennerzentrum.de