Die Vergangenheit spiegelt sich an den Straßen wider: an alten Häusern, deren Mauern Bände sprechen könnten, aber auch an neuen Häusern, die nicht nur die jüngste Zeit, nämlich die ihrer Erbauung, widerspiegeln. So ist es in der Au, in der ein Museum entsteht, das die dramatische Geschichte der Sudetendeutschen erzählen will: an die Nachfolgegenerationen, denen das Thema der nach dem 2. Weltkrieg vertriebenen Deutschen aus dem Sudetenland (heute Tschechische Republik) zu "abstrakt" ist. Bis zu seiner Eröffnung in der Hochstraße - voraussichtlich 2020 - bietet sich genug Zeit, um die Geschichte zu dieser besonderen Menschengruppe kennenzulernen.
Mario Hierhager ist 31 Jahre alt und Leiter der Sudetendeutschen Jugend bzw. Vorsitzender der SdJ - Jugend für Mitteleuropa e.V. Der studierte Psychologe verblüfft am Anfang des Interviews, denn er sagt zunächst, er habe „keinen expliziten sudetendeutschen Hintergrund”. Hierhager kommt aus Oberbayern und bezeichnet deswegen in erster Linie nicht sich selbst, sondern seinen Großvater als Sudetendeutschen. „Mein Großvater wurde vertrieben und erst als ich im Sudetendeutschen Verein war, habe ich gemerkt, was meine Wurzeln sind.“ Sudetendeutsche waren jahrhundertelang in Böhmen, Mähren und Sudetenschlesien wohnhaft, nach ihrer Vertreibung fanden sie Unterschlupf vor allem im benachbarten Bayern, wo sie sich niedergelassen haben.
Heutzutage sind zahlreiche Jugendliche mit sudetendeutschen Wurzeln im SdJ mit Sitz in der Au organisiert. Die SdJ ist nicht nur ein Freizeitverein, denn sie hat auch eine politische Ausrichtung. So nimmt sie unter anderem an Vorstandssitzungen des wichtigsten Vereins der Sudetendeutschen, der Sudetendeutschen Landsmannschaft (SL), teil, wo sie ein Mandat innehat und mitredet. Früher war sie noch die Jugendorganisation der Sudetendeutschen Landsmannschaft, mittlerweile ist die SdJ jedoch ein eigenständiger Verein. „Wir haben Souveränität, arbeiten mit der SL aber sehr eng und prosperierend in einer Partnerschaft zusammen“, so Hierhager. "Früher waren die Strukturen sehr hierarchisch, doch vor ungefähr fünf Jahren kam ein Wendepunkt", führt er weiter aus. Die Sudetendeutsche Jugend begreift sich heute als Dachverband, denn sie koordiniert sämtliche - zumeist lokale Untergruppierungen. Eine durchgeführte Modernisierung der Vereine SL und SdJ hat unter anderem als Ergebnis gehabt, dass die Satzungen erneuert wurden. „Schließlich ändern sich mit der Zeit auch die Ziele, wohin es gehen soll“, so Hierhager. Gemeint sind aktuelle politische Diskussionen wie der Fortbestand der Europäischen Union oder die Solidarität mit Geflüchteten.
Je nach persönlichen Präferenzen kann man sich bei den Sudetendeutschen zum Beispiel politisch ausrichten – also bei der SL oder der SdJ – oder kulturell, zum Beispiel bei „Moravia Cantat“, der Böhmerwaldjugend oder der Egerlandjugend, deren Mitglieder sich zum Tanzen und Singen treffen. Auch gibt es Verbände, die Exkursionen veranstalten, etwa in die Tschechische Republik. „Zum Bundesjugendtag treffen sich dann alle Verbände.“ Ein weiteres Highlight ist der jährliche „Sudetendeutsche Tag“ an Pfingsten, der heuer in Regensburg stattfand. Er ist eine Plattform, um das Sudetendeutsche Kulturgut zu präsentieren: „Dazu gehören Weine, Trachten, Handwerk sowie Lesungen und Kundgebungen.“ Die Aufrechterhaltung solcher Veranstaltungen und Verbände sei existenziell, so Hierhager, da es „immer weniger Sudetendeutsche Mitglieder gibt.“
Das Sudetendeutsche Museum soll als eine Erinnerung an die besonderen Geschichten dienen, die mit ihnen verknüpft sind.
Weitere Infos zu den Sudetendeutschen gibt es unter www.sudeten.de, zu Veranstaltungen unter www.sudetendeutsche-heimatpflege.de. Informationen über die SdJ - Jugend für Mitteleuropa sind verfügbar unter www.sdj-online.de
Daniel Mielcarek