„Die Zufluchtstelle von IMMA ist der beste Platz für ein Mädchen, um ein neues Leben anzufangen.“ So bringt Sarah bei der 20-Jahr-Feier von IMMA das Ziel der Einrichtung auf den Punkt. Sarah, die unter einem Pseudonym auftritt, war vor 13 Jahren selbst ein Mädchen, das bei IMMA Zuflucht fand und betont: „IMMA hat die Weichen für mein Leben neu gestellt“.
Und sie ist nicht die einzige, der IMMA geholfen hat. Seit der Gründung von IMMA 1988 haben über 1100 Mädchen und junge Frauen mit unterschiedlichem kulturellen und familiären Hintergrund aus verschiedenen Notsituationen heraus in der Zufluchtstelle Schutz gefunden. Und die Zahl der Anfragen auf einen Platz dort steigt stetig. Allein von Januar bis Oktober 2008 gab es 383 Anfragen, wovon 57 Mädchen aufgenommen werden konnten.
IMMA bietet Mädchen im Alter von 13 bis 20 Jahren eine sofortige Unterbringungsmöglichkeit und Schutz vor physischer, psychischer und sexueller Gewalt. Die Zufluchtstelle, deren Adresse aus Sicherheitsgründen anonym bleibt, ist eine stationäre Krisen- und Übergangseinrichtung mit acht Plätzen, in der die Mädchen rund um die Uhr betreut werden.
Dass die IMMA-Zufluchtstelle inzwischen einen so großen Zulauf von hilfesuchenden Mädchen hat, hätte sich vor 20 Jahren noch niemand vorstellen können. Damals wurde das Thema „Gewalt in der Familie“ meist totgeschwiegen. „Als IMMA gegründet wurde, mussten wir zuerst überlegen, wie man mit der Thematik arbeiten kann“, berichtet Ingrid Reich, Öffentlichkeitsbeauftragte von IMMA. „Unser Ziel war es, vor allem durch Werbung Mädchen darauf aufmerksam zu machen, dass jede einzelne ein Recht auf Hilfe hat.“ Auch Dr. Corinna Seith, Wissenschaftlerin an der Pädagogischen Hochschule Zürich, beobachtet bei ihren Studien, „dass Gewalt in der Familie für viele Jugendliche Privatsache ist“. Vor 20 Jahren vertraten noch viel mehr Jugendliche als heute diese Meinung. „Enttabuisierung ist hier besonders wichtig“, betont die Wissenschaftlerin. Der Verein IMMA setzt mit seiner Arbeit genau dort an.
Rund 50 Prozent der Mädchen in der Zufluchtstelle melden sich inzwischen selbst, die andere Hälfte wird vom Jugendamt vermittelt. Das zeigt, dass junge Frauen das Angebot von IMMA annehmen und sich über das „Tabuthema Gewalt in der Familie“ hinwegsetzen. „Wir sind stolz, dass wir inzwischen ein fester Bestandteil für die Jugend sind und betroffene Mädchen wissen, dass sie nicht allein sind“, sagt Andrea Mager-Tschira, Vorstand von IMMA. Auch Sarah wandte sich vor 13 Jahren aus eigenem Antrieb an die Zufluchtstelle. Schon als Elfjährige versuchte sie, von zuhause zu flüchten. Im Alter von 18 Jahren schaffte sie es dann mit Hilfe von IMMA. Sie hatte Glück und bekam innerhalb von drei Tagen einen Platz in der Zufluchtstelle, in der sie zweieinhalb Monate lebte. „Das war eine sehr intensive Zeit, in der ich viel gelernt habe“, erzählt die heute 31-Jährige.
Wenn ein Mädchen in die Zufluchtstelle kommt, ist vor allem Ruhe wichtig. Einrichtungsleiterin Johanna Pförtner beschreibt es so: „In ihrer Krisensituation werden die Mädchen zunächst beruhigt und dürfen sich mit Tee und Wärmflasche zurückziehen.“ Im Folgenden bietet das Team, das aus sechs Sozialpädagoginnen, einer Psychologin und einer Hauswirtschafterin besteht, Raum für Gespräche und Hilfe für die Mädchen, um herauszufinden, „wie sie ihrem Leben eine Wende geben können“.
Die Mädchen bleiben im Durchschnitt 45 Tage an dem anonymen Ort, manche nur zwei bis drei Tage. „Es gibt allerdings auch viele Mädchen, die länger, bis zu sechs Monate, bei IMMA bleiben wollen. In diesen Fällen muss mit dem Jugendamt verhandelt werden. Aber rausgeschmissen wurde noch keine“, so Johanna Pförtner. Sarah versteht, warum die Mädchen die Zufluchtstelle oft nicht mehr verlassen möchten: „Für viele ist es das erste Mal, dass sie geschützt und gewaltfrei leben können und einen geregelten Tagesablauf haben.“
Denn in der Einrichtung soll so viel Normalität wie möglich herrschen. Es gibt regelmäßig warmes Essen, die Möglichkeit, sich und seine Kleidung zu waschen, Hilfe bei Hausaufgaben, Bewerbungen und Jobsuche, sowie ärztliche Untersuchungen. Das Wichtigste ist jedoch, dass die Betreuerinnen stets „ein offenes Ohr“ für die jungen Frauen haben und gemeinsam versucht wird, den Konflikt des Mädchens zu lösen.
„Wir arbeiten parteilich für die Mädchen – was sie nicht möchten, geschieht auch nicht“, betont die Leiterin der Zufluchtstelle. Im Idealfall klappt der Versuch, die Eltern des Mädchens mit einzubeziehen und den Konflikt gemeinsam zu lösen. Das Mädchen kommt nach seinem Aufenthalt bei IMMA zurück in die Familie. In 50 Prozent der Fälle beginnt das Mädchen jedoch ein neues Leben ohne seine Familie, wobei es weiterhin vom Jugendamt und von IMMA unterstützt wird, und zieht zum Beispiel in eine Wohngemeinschaft oder betreutes Einzelwohnen.
Auch Sarah hat keinen Kontakt mehr zu ihrer Familie. Sie führt jetzt, wie sie sagt, „ein ausgeglichenes Leben“ und hat München verlassen. Die Zeit in der Zufluchtstelle wird sie nie vergessen. „Durch IMMA hatte ich jemanden außerhalb der Familie, dem ich alles erzählen konnte, wo ich Mädchen mit gleichen Problemen traf und ein Gefühl von Gemeinschaft bekam. Ich bin IMMA unendlich dankbar.“
Der Verein wird auch weiterhin für Schutz suchende Mädchen da sein. Unter der Telefonnummer 183609 ist rund um die Uhr jemand erreichbar und die Anruferinnen können Beratung und Schutz durch IMMA in Anspruch nehmen. Sarah wünscht allen Mädchen, die dort Zuflucht suchen, dass sie genauso positive Erfahrungen machen, wie sie selbst. „Bei IMMA fängt man an, Träume zu entwickeln und bekommt Lust, das Leben zu leben.”