Rund 5.000 Münchner Jüdinnen und Juden verloren während der NS-Zeit ihr Leben. Nach der Kristallnacht im November 1938 inhaftierte die Gestapo 1.000 jüdische Männer im KZ Dachau. Mindestens 24 von ihnen starben an den Misshandlungen, die sie dort erlitten.
Erinnern an die Opfer des Nazi-Regimes
München gedenkt seinen im Nationalsozialismus verfolgten Mitbürger Themenseite gegen das Vergessen
1939 begann das Regime, jüdische Menschen aus ihren Wohnungen zu vertreiben und sie in so genannte Judenhäuser einzuquartieren, wo sie in großer Not und Bedrängnis leben mussten.
Vielen Münchner Juden gelang es nach 1939 nicht mehr, auszuwandern. Ihres Eigentums beraubt, entrechtet und mit dem gelben Stern gekennzeichnet, erfolgte schließlich ihre Deportation in den Tod. Bei der ersten Deportation am 20. November 1941 wurden 999 Männer, Frauen und Kinder verschleppt und fünf Tage später im litauischen Kaunas von SS-Einsatzgruppen erschossen. Die Nationalsozialisten deportierten insgesamt 2.559 Münchner Jüdinnen und Juden. Nur wenige von ihnen überlebten das Elend in den Lagern und Ghettos.
Am 20. November 2018 wurden nun weitere Erinnerungszeichen für sechzehn Münchner Jüdinnen und Juden an die Öffentlichkeit übergeben, die in der Bürkleinstraße 16 (heute 20) im Lehel, der Corneliustraße 2 in der Isarvorstadt und der Widenmayerstraße 36 im Lehel lebten. Am Abend fand noch eine Gedenkveranstaltung für die in Kaunas ermordeten Münchner Jüdinnen und Juden im Jüdischen Museum statt.
In der Widenmayerstraße 36 fand die Übergabe der Erinnerungstafel für Ella und Friedrich Oestreicher mit Dr. Jan Mühlstein, Vorsitzender der Liberalen Jüdischen Gemeinde München Beth Schalom e.V., und Dr. Thomas Nowotny, Angehöriger, statt. Zum Hintergrund: Friedrich Oestreicher (geboren am 16. November 1885) war seit 1910 Inhaber der Firma H. Oestreicher & Söhne, Felle- und Lederfabrikation. Seit der Eheschließung 1914 lebten er und seine Frau Ella (geboren am 16. März 1890) in der Widenmayerstraße 36. Ihres Eigentums vollständig beraubt, mussten sie beide am 20. November 1941 die Deportation nach Kaunas erleiden, wo sie am 25. November 1941 von SS-Einsatzgruppen erschossen wurden.
In Bürkleinstraße 20 erfolgte die Übergabe von zwei Erinnerungsstelen für Simon Kissinger, Ferdinand Kissinger, Jenny und Julius Kissinger mit ihren Kindern Albert und Manfred, Rosa und Emanuel Kocherthaler, Ida und Salomon Silber, Centa Silber und Henriette Lipcowitz mit Ellen Presser, Israelitische Kultusgemeinde München, Rabbiner Shmuel Aharon Brodman und Dr. Felicia Englmann, Initiatorin der Stelen.
Zum Hintergrund: Der Lehrer Simon Kissinger (geboren am 18. Februar 1859) wohnte zusammen mit seinen Söhnen Julius (geboren am 7. November 1894) und Ferdinand Kissinger (geboren am 13. Oktober 1891) in der Bürkleinstraße 16 (heute Nr. 20).
Beide Söhne arbeiteten als Lehrer an der jüdischen Schule in München. Ferdinand Kissinger wurde am 10. November 1938 in das KZ Dachau verschleppt. Simon Kissinger verstarb am 15. Februar 1939. Am 20. November 1941 mussten Ferdinand, Julius, dessen Ehefrau Jenny (geboren am 20. Januar 1908) und die gemeinsamen Kindern Albert (geboren am 19. Februar 1931) und Manfred (geboren am 27. März 1932) die Deportation nach Kaunas in Litauen antreten, wo SS-Einsatzgruppen sie am 25. November 1941 erschossen. Der Kaufmann Emanuel Kocherthaler (geboren am 22. Dezember 1869) und seine Frau Rosa (geboren am 2. Oktober 1879) lebten seit 1904 in der Bürkleinstraße 16.
Das Ehepaar wurde am 4. Juni 1942 in das KZ Theresienstadt deportiert. Emanuel Kocherthaler starb dort am 4. Februar 1943, seine Frau Rosa am 6. April 1943. Salomon Silber (geboren am 12. Mai 1868) arbeitete als Versicherungsgeneralagent. 1894 heiratete er Ida Falk (geboren am 29. Juni 1872). Das Ehepaar hatte sechs Kinder, eine Tochter verstarb bereits als Kind. Bis auf Tocher Centa konnten alle emigrieren. Centa Silber, die als Gemeindesekretärin der Israelitischen Kultusgemeinde arbeitete, verstarb am 25. November 1937 in München, ihr schwer kranker Vater am 21. April 1938. Ida Silber wurde am 15. Juli 1942 in das KZ Theresienstadt deportiert, wo sie am 27. Februar 1943 ermordet wurde. Henriette Lipcowitz (geboren am 10. März 1867) wohnte seit 1937 in der Bürkleinstraße 16.
Die Tochter des Münchner Kaufmanns Gerson und seiner Frau Franziska Lipcowitz war als Stickerin tätig. Seit April 1939 musste sie im Altenheim der IKG in der Kaulbachstraße 65 leben, wo sie am 21. Juni 1940 starb.
Erst enteignet, dann ermordet
Und am 20. November wurde auch in der Corneliusstraße 2 eine Erinnerungsstele für Fanny und Julius Marx enthüllt mit Dr. Barbara Turczynski-Hartje, Bezirksausschuss 2 Ludwigvorstadt-Isarvorstadt, Dr. Jan Mühlstein, Vorsitzender der Liberalen Jüdischen Gemeinde München Beth Schalom e.V., und Dr. Thomas Nowotny, Angehöriger.
Zum Hintergrund: Julius Marx (geboren am 10. November 1885) hatte als Sanitätsunteroffizier am Ersten Weltkrieg teilgenommen. Er führte in der Corneliusstraße 2, wo er seit 1922 wohnte, einen Groß- und Kleinhandel in Schuhwaren. Im Jahr 1932 heiratete er Fanny Walter (geboren am 30. Dezember 1896). Das Ehepaar wurde am 20. November 1941 nach Kaunas deportiert und dort von SS-Einsatzgruppen erschossen.