Tiefgaragen, U-Bahnhöfe oder S-Bahnsteige - all diese Orte werden immer häufiger zum Schauplatz von Verbrechen. Viele Fälle in der Vergangenheit sind traurige Beispiele dafür. Der Jüngste ist der feige Überfall auf Dominik B. am Sollner S-Bahnhof am 12. September dieses Jahres. Er wollte nicht weg schauen als Kinder von Jugendlichen bedroht wurden, sondern Zivilcourage zeigen und versuchte zu schlichten. Was danach geschah wissen wir alle: Der Unternehmer wurde von hinten angegriffen und derart gewaltsam von den beiden 17- und 18-Jährigen verprügelt, dass er am selben Tag seinen schweren Verletzungen erlag.
Ein erfolgreicher, lebensfroher Mann muss sterben, nur weil er zwei Halbwüchsige stoppen wollte, kleine Kinder zu bedrohen? Dies löst bei den Meisten absolute Fassungslosigkeit aus. „Kinder“ bedrohen Kinder? Was fehlt ihnen nur, dass sie überhaupt kein Gewissen haben und zu so einer Vorgehensweise fähig sind. Viele Menschen fragen sich seither, was in Zukunft wohl besser sei: Helfen oder doch lieber nicht? Eine zunächst nicht bedrohlich wirkende Situation kann anscheinend binnen Minuten zu einer aggressionsgeladenen Gewalttat eskalieren. Offensichtlich spielt das Alter der Täter dabei keine Rolle.
Trotz häufender Vorfälle und allgemeinen Spannungen in der Gesellschaft gibt es weiterhin Bürger, die sich für ihre Mitmenschen einsetzten. Mut und Zivilcourage bewies eine Rentnerin Anfang des Jahres auf einer öffentlichen Toilette: Am 22. März wurde am U-Bahnhof Thalkirchen eine 44-jährige Frau Opfer einer Vergewaltigung. Beim Verlassen der Toilette wurde die Frau von einem 19-Jährigen mit vorgehaltenem Messer zurück in die Kabine gedrängt und dort unter körperlicher Gewalt mehrfach vergewaltigt. Nachdem die 44-Jährige eine halbe Stunde gepeinigt wurde, kam Ingrid G. (Name ist der Redaktion bekannt) unwissend zu den Toiletten, um diese zu benutzen. „Als ich die Türe öffnen wollte, habe ich sie nicht auf bekommen“, erzählt die Zeugin. Im Unterbewusstsein war sie sich ihrer Lage umgehend bewusst: „Ich spürte sofort, dass irgendetwas nicht stimmt. Als ich nochmal an der Tür rüttelte, merkte ich, dass jemand von innen dagegen drückte.“
Als der Täter feststellte, dass Ingrid G. weiterhin versuchte, die Kabinentür zu öffnen, ließ er vom Opfer ab, riss die Türe auf und flüchtete – vorbei an der überraschten Zeugin – in unbekannte Richtung. Daher konnte Ingrid G. im Nachhinein keine 100-prozentige Beschreibung des Täters abgeben: „Es ging alles einfach so unglaublich schnell.“ Die Rentnerin rief ihren Ehemann Adolf und eine Passantin, die in der Nähe stand, um Hilfe. „Man kann es zwar nicht glauben, aber wie es halt so ist hatte weder ich noch mein Mann noch die Dame ein Handy dabei.“ Das völlig verstörte Opfer „zitterte wie Espenlaub“ und wollte „nur noch weg von diesem Ort“. Der Rentnerin erzählte sie, ihre Arbeit läge ganz in der Nähe. Dort solle sie sie hinbringen, denn sie traue sich keinen Schritt mehr alleine gehen. „Die Frau umarmte mich so stark und hat mich nicht mehr losgelassen“ beschreibt Ingrid G. ergriffen. In der Arbeit angekommen benachrichtigten sie die Polizei.
Auf Grund der Zeugenaussage von Ingrid G. und eines Handabdrucks, den er am Tatort hinterlassen hatte, konnte der Täter, ein aus Afghanistan stammender Mann, nach nur wenigen Tagen überführt werden. Im folgenden Prozess wurde er zu sieben Jahren Haft verurteilt. Nach dreieinhalb Jahren wird er in sein Heimatland abgeschoben, wo er die restliche Gefängnisstrafe absitzen wird.
Der Münchner Polizeipräsident Wilhelm Schmidbauer ist sich sicher, dass die selbstlose und intensive Nachbetreuung des Opfers seitens der Zeugin überhaupt erst dazu führte, dass die 44-Jährige bei der Polizei aussagte. Dabei gab sie wertvolle Hinweise zu Tat und Täter. Mit ihrem umsichtigen Verhalten am Tatort und ihrer Hilfsbereitschaft hat Ingrid G. einen wesentlichen Beitrag zur Verurteilung des Täters geleistet. Trotz körperlicher Unterlegenheit und fortgeschrittenen Alters schaute sie nicht weg, sondern half. Dafür wurde sie am Mittwoch vom Polizeipräsidium München mit der Medaille für Verdienste um die Innere Sicherheit 2009 ausgezeichnet. Ingrid G. nahm die Medaille mit den Worten entgegen: „Ich habe doch was ganz Normales gemacht.“