Was wäre München ohne seine Flaniermeilen in der Innenstadt? Heute unvorstellbar, aber bis vor 50 Jahren waren Kaufingerstraße und Neuhauser Straße die wichtigsten Verkehrsachsen der Innenstadt. Wer sich Aufnahmen aus den 1960er-Jahren anschaut, erkennt den Marienplatz von heute kaum wieder. Dort wo man heute flanieren, shoppen und gemütlich das Glockenspiel am Ratzhaus bewundern kann, drängelten sich jahrzehntelang dicht an dicht Autos und Straßenbahnen. Denn in den "Wirtschaftswunderjahren" war der Marienplatz als zentraler Marktplatz mit Trambahnlinien und die Altstadtstraßen als Verkehrsknotenpunkte mit Autos und Bussen restlos überfüllt. Lärm, Autoabgase und Verkehrsstaus waren daher stetige Begleiter für alle, die sich in der Altstadt aufhielten. Ein Ärgernis, bis der Münchner Stadtrat im Februar 1966 einen wegweisenden Entschluss fasste und für die Einrichtung einer Fußgängerzone zwischen Marienplatz und Stachus stimmte. Mit diesem Entschluss sollte die extreme Verkehrsbelastung aus den Gassen der Münchner Altstadt verbannt werden. Ohne den Bau der Fußgängerzone zwischen Stachus und Rathaus ab Ende der 60er-Jahre hätte die Innenstadt nicht ihren heutigen Charakter als lebendige Flaniermeile mit dazugehörigem großen Einkaufs- und Gastroangebot. 1972 schließlich eröffnete der damalige Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel die Fußgängerzone in der Neuhauser Straße. Der Beginn einer Erfolgsgeschichte, wie man heute weiß. Die Münchner lernten "ihre" neue Fußgängerzone genauso wie die vielen München-Besucher und Touristen schnell zu schätzen. Eine Begeisterung, die bis heute anhält. Im letzten Jahr betrug die durchschnittliche Anzahl der Passanten je Stunde 13.275, damit war die Münchner Fußgängerzone vor dem Corona-Jahr die meistbesuchteste Einkaufsstraße Deutschlands. Klar, dass im Laufe der Zeit viele großen Einkaufs- und Modeketten sowie Großgastronomen an der Neuhauser- und Kaufingerstraße angesiedelt haben. Trotz der Spitzenmiete von 360 Euro je Quadratmeter hat sich die Fußgängerzone so zu den umsatzstärksten Einkaufsmeilen Deutschlands entwickelt.
Nach der Theatinerstraße wuchs die Fußgängerzone im vergangenen Jahr zusätzlich um die Sendlinger Straße. Im November 2019 war die frühere Autofahrbahn auch zwischen Hacken- und Herzog-Wilhelm-Straße verschwunden. Im Zuge des Umbaus wurden hier zudem neue Bäume gepflanzt und Sitzbänke im gesamten Straßenzug aufgestellt. Doch damit soll nach Willen der Stadtplaner noch lange nicht Schluss sein. Nachdem Ende Mai bereits die Fußgängerzone bis zur Dienerstraße erweitert wurde, soll künftig sogar ein durchgängiger Fußgängerbereich vom Hauptbahnhof bis zum Isartor geschaffen werden. So hat der Mobilitätsausschuss des Münchner Stadtrats kürzlich die umfangreiche Umgestaltung des Tals beschlossen. Demnach sollen auch hier "großzügige Aufenthaltsbereiche ohne Konsumzwang" entstehen, wie es in einem Konzeptpapier heißt. Dafür sollen zunächst sämtliche Stell- und Parkplätze umgewandelt werden. Die Stadtverwaltung will nun unter Beteiligung der Öffentlichkeit einen Projektfahrplan vorlegen, welcher zeitgleich mit der Eröffnung der neuen Parkgarage am Thomas-Wimmer-Ring noch im Sommer 2021 realisiert werden soll. Gemeinsam mit der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) will die Stadt zudem prüfen, ob und wie der Busverkehr in der Altstadt umgeleitet werden kann.
Bis man tatsächlich gemütlich vom Stachus bis zum Isartor strawanzen kann, muss man sich allerdings noch einige Jahre gedulden. Grund hierfür ist das milliardenschwere Großbauprojekt "Zweite Stammstrecke". Bevor im Tal mehr Ruhe vom Verkehrslärm einkehren kann, wird der Abschnitt vom Isartor zum Marienhof gar zur Hauptanfahrtsroute für den Baufahrzeugverkehr. Nach derzeitigem Planungsstand wird man an der Baustelle hinter dem Rathaus frühestens 2028 fertig sein. Jedoch wurde zuletzt auch von einer Fertigstellung erst 2032 berichtet. Die Ungewissheit bei Projekten in dieser Dimension ist bekanntlich groß. Ist die Stammstrecke jedoch erstmal fertig, wird die Erweiterung der Flaniermeile bis zum Isartor wohl nicht mehr lange auf sich warten lassen.
Stefan Dohl