Rund um das Quartier in der Nachbarschaft des St.-Anna-Kircherls in Harlaching und des Albert-Einstein-Gymnasiums, oberhalb vom Tierpark Hellabrunn, tobt ein Bilderstreit zwischen Anhängern der beiden großen Münchner Fußballvereine, dessen Spuren im öffentlichen Raum je nach Deutung der Betrachter als Ultra-Streetart oder Vandalismus verstanden werden. Keine Ampel, kein Verkehrsschild, kein Laternenmast, kein Mülleimer und auch nicht ein Stück denkmalgeschützter Kirchenmauer, das Verkehrsteilnehmer, die über den kurvenreichen Tierparkberg fahren, gut sehen können, bleiben verschont.
Wechselseitig markieren Rot und Blau mit Aufklebern, Markern und Farbdosen die Gegend. Stromkästen werden in Vereinsfarben bemalt. Es herrscht ein Wettbewerb um die attraktivsten Plätze. Schnell wird das Zeichen des Lokalrivalen abgerissen, überklebt oder überstrichen und die eigene Botschaft angebracht. Nicht jedes Motiv zeugt von besonderer Schöpfungskraft. Der jugendliche Drang zur Reviermarkierung nervt die Nachbarschaft in der gediegenen Wohngegend. Dass die fußballaffinen »Künstler« mit größter anzunehmender Wahrscheinlichkeit selbst den Kinder- und Jugendzimmern der stattlichen Häuser im Umfeld entstammen, macht den Ärger der Beschwerdeführer nicht geringer.
Rechtlich ist die Sache klar: Wer bei einer Sachbeschädigung erwischt wird, muss mit Schadenersatzansprüchen für die Reinigung und Wiederherstellung und darüber hinaus mit einer persönlichen Strafe rechnen. Im Einzelfall kann das ziemlich teuer werden. Kulturell außergewöhnlich ist die jugendtypische Klebe- und Sprayflut nicht. Ähnliche Konflikte sind aus jeder größeren Stadt bekannt. Die Ultra-Bewegung besonders engagierter Fußballfans dürfte zahlenmäßig die größte Jugend-Subkultur in Deutschland sein. Während das Auge vieler Bürger an kommerzielle Werbung auf nahezu jedem Quadratmeter urbanen Raums längst gewöhnt ist, verstören die selbstautorisiert angebrachten Zeichen aller Art. Geputzt, abgerissen und wieder beklebt wird ständig.
Als besonders problematisch erweist sich das kleine Mauerstück des St.-Anna-Kircherls. Der dort verbaute Naturstein lässt sich nur mit großem Aufwand wieder restaurieren. Der Bezirksausschuss Untergiesing-Harlaching bat deshalb vor einiger Zeit zu einem Ortstermin und lud Vertreter beider Fußballklubs ein, sich die Bescherung anzusehen. Auf einer Länge von mehreren Metern werden die porösen historischen Steinquader regelmäßig mit Lackfarbe besprüht. Mal von Bayernfans, mal von Löwenanhängern.
Die Vereinsvertreter äußerten ihr Bedauern über den entstandenen Schaden und versprachen, im Rahmen ihrer Möglichkeiten über die Fanbeauftragten der Klubs und über die Sozialarbeiter des Fanprojekts der Landeshauptstadt München auf die Anhängerschaft einzuwirken. Ob der Ruf nach Sensibilität im Umgang mit historischer Bausubstanz die unbekannten Ultra-Streetart-Künstler erreicht, bleibt abzuwarten. Bis dahin werden sicher auch die Strafverfolgungsbehörden ein Auge darauf haben.
Wer glaubt, Achtsamkeitsübungen wären grundsätzlich nicht Sache von Fußballfans, täuscht sich. Während des Lockdowns auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie und der staatlichen Maßnahmen zum Infektionsschutz organisierten beispielsweise Fan-Gruppierungen beider Münchner Vereine tatkräftig Hilfe für soziale und karitative Organisationen oder erledigten direkt Besorgungen für mögliche Risikopatienten. Auch dieses Engagement ist Teil des soziokulturellen Selbstverständnisses vieler Ultras. as