Veröffentlicht am 14.09.2022 00:00

Pringsheim in Untermenzing


Von Brigitte Bothen [bb] (brigitte.bothen@muenchenweit.de, bbo)
Bild 1 (Foto: Sammlung und Bearbeitung Demmel)
Bild 1 (Foto: Sammlung und Bearbeitung Demmel)
Bild 1 (Foto: Sammlung und Bearbeitung Demmel)
Bild 1 (Foto: Sammlung und Bearbeitung Demmel)
Bild 1 (Foto: Sammlung und Bearbeitung Demmel)

Das Thema „Pringsheimstraße“ führt mich in meine Anfänge als Stadtteilhistoriker zurück. Für den 30.11.2011 um 16 Uhr war damals an der Universität München ein Vortrag eines ehemaligen Mathematikprofessors der Technischen Universität München, Dr. Bulirsch, den ich von meiner Arbeit an der TUM her noch gut kannte, zum Thema „Alfred Pringsheim (1850-1941), Kunstmäzen, Mathematiker, Schwiegervater Thomas Manns“ angekündigt. Der Besuch dieses Vortrags war ein Muß für mich, der Saal voll, der Vortragende humorvoll. Ich war tief beeindruckt vom Thema und stark interessiert am Inhalt und plante deshalb schon bald meine Geschichte, die ich jedoch 11 Jahre später erst in Angriff nehme.

Die Pringsheimstraße ist eine etwa 200 m lange Straße in der Nähe der Angerlohe (Bild1) in Untermenzing und steht als reine Wohnstraße geradezu im Gegensatz zur Allacher Vesaliusstraße, die ich vor kurzem ausführlich dargestellt habe. Sie beginnt an der Angerlohstraße und endet an der Von-Reuter-Straße. Die frühere Friedrichstraße bekam 1947 diesen Namen. Dazu ist im Münchner Straßenbuch von Hans Dollinger zu lesen, dass Alfred Pringsheim (1850-1941) Mathematiker und ab 1886 Professor der Mathematik an der Universität München war, Arbeiten zur Analysis und zur Geschichte der Mathematik schrieb und 1939 in die Schweiz emigrierte (mußte). Er war Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und wurde Schwiegervater Thomas Manns. Thomas Mann hatte 1905 Katia, die Tochter Pringsheims geheiratet. Diese hatte aus Liebe zum Vater Mathematik studiert und, wie Bulirsch erzählte, „nebenher Physik bei Conrad Röntgen studiert, dessen Zorn sie sich zuzog, weil sie einmal ein Experimentiergerät versehentlich zertrümmerte.“

Für mich wurde die Pringsheimstraße noch interessanter, weil ich dieser Tage ein Buch von Inge und Walter Jens gelesen habe, das mich tiefer in die Familiengeschichte der Pringsheims führte: „Katias Mutter. Das außerordentliche Leben der Hedwig Pringsheim“. Im Klappentext heißt es: „Ein Mädchen aus kulturell ambitioniertem, aber materiell nicht eben gesegnetem Haus heiratet einen millionenschweren Privatdozenten der Mathematik.“ Nicht nur Münchens bekannte und berühmte Politiker, Literaten, Musiker, Maler, Schauspieler, Opernsängerinnen und Opernsänger gingen im Hause Pringsheim in der Arcisstraße 12 aus und ein, man pflegte auch engste Kontakte mit dem politischen und kulturellen Berlin. Alfred Pringsheim war ein passionierter Pianist und Wagnerliebhaber. Die Arcisstraße erinnert heute an die französische Ortschaft Arcis-sur-Aube, war Schauplatz einer der Schlachten, die unter bayerischer Beteiligung 1814 gegen das Heer Napoleons geschlagen wurden.

Im Jahr 1889 zog die Familie Pringsheim in eine Neo-Renaissance-Villa mit der Hausnummer 12 (Bilder2/3). Alexander Krause weiß Genaueres zum Haus, dessen Breite rund 24 m und dessen Tiefe ca. 25 m betrug. Es hatte bereits eine der ersten Münchner Zentralheizungen und elektrisches Licht aus einem eigens im Garten errichteten Maschinenhaus.

Der Erbauer und Besitzer des prunkvollen Gebäudes Alfred Pringsheim, war am 02.09.1850 in Ohlau (Niederschlesien) geboren und entstammte, wie der polizeiliche Meldebogen im Stadtarchiv angibt, einer jüdischen Familie, während seine Frau Hedwig (geb. Dohm) und die Kinder (Katia, Erik, Klaus, Peter, Heinz) als protestantisch geführt wurden. Sein Vater Rudolf hatte als Eisenbahnunternehmer und Kohlegrubenbesitzer in Oberschlesien ein riesiges Vermögen erworben und war nach Berlin übergesiedelt. Weil sein Vermögen zum großen Teil aus der Errichtung von Schmalspurbahnen im oberschlesischen Industriegebiet stammte, nannte man ihn in Berlin auch den schmalspurigen Pringsheim. Musische Bildung galt in diesem Hause Pringsheim als oberstes Ideal der Erziehung. So war es nicht verwunderlich, dass sein Sohn Alfred (Bild4) zwar in Heidelberg Mathematik studierte, aber immer schwankend, ob Mathematik oder doch Musik.

Pringsheim war bereits in jungen Jahren von Richard Wagner fasziniert, führte mit ihm eine persönliche Korrespondenz und unterstützte die Bayreuther Festspiele finanziell. Ein Jude, der in seiner Wagnerbegeisterung den Antisemiten nicht sah oder sehen wollte! Wie bei Wikipedia nachzulesen ist, verfügte Pringsheim nach dem Tode seines Vaters 1913 über ein Vermögen von 13 Millionen Mark (heute 74) und ein jährliches Einkommen von 800.000 Mark (heute 4,5). „Die Wagner-Briefe, die Alfred Pringsheim zeitlebens als seinen größten Schatz hütete, haben die Flucht des Ehepaars 1939 aus München nach Zürich nicht überstanden“ (Katias Mutter, S. 59).

Seine Frau Hedwig (Bild5) gehörte zu den geistvollsten, bekanntesten und beliebtesten Frauen Münchens. Sie war als schöne und charmante Gastgeberin für die vielen großen Ereignisse im Haus Pringsheim verantwortlich, die es zu einem gesellschaftlichen Zentrum der Kulturstadt München machten. Das ausgelassene Dehnungs-h, z.B. Höe statt Höhe, one statt ohne, Mon statt Mohn und anderes gehörte zu den Eigenarten seiner Frau Hedwig, die viele Briefe an Freunde und Bekannte aus höheren Bildungsschichten schrieb. Alle wußten mit dieser eigenartigen Orthografie umzugehen.

Hedwig Pringsheim wollte, ebenso wie ihr Mann, nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten nicht ins Ausland gehen. Als es für die jüdische Familie fast zu spät war, halfen gute Verbindungen und ein couragierter SS-Mann, die Ausreisepässe zu beschaffen und im Oktober 1939 nach Zürich auszureisen. Pringsheims wertvolle Sammlungen wurden zwangsverkauft, sein Haus abgerissen und an dieser Stelle ein Verwaltungsbau der NSDAP errichtet, in dem heute das „Münchner Haus der Kulturinstitute“ zu finden ist.
Der ursprünglich vermögende, von den Nazis weitgehend enteignete Alfred Pringsheim starb am 25. Juni 1941 in Zürich, ein Jahr später seine Frau Hedwig. Und in Untermenzing trägt eine Straße den berühmten Namen Pringsheim.

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