„Eigentum verpflichtet“, heißt es im Grundgesetzt. Ab wann ist es rechtfertigbar, vielleicht sogar notwendig abzureißen und neu zu bauen? Wann könnte man erhalten – Bausubstand und zugleich identitätsstiftende Bauten mit sozialisierter Bewohnerschaft? Architekt Andraes Eichlinger und sein Büro startet nun eine Offensive. Sie rufen zu „Umbau statt Abriss auf“. Im Bezirksausschuss Schwanthalerhöhe (BA 8) warb der im Westend beheimatet Architekt für ein „Abriss-Moratorium“. Die Mehrheit im Lokalparlament teilt Eichlingers Ansichten. Viel Handhabe hat der BA aber nicht.
„Circa 40 Prozent der weltweiten CO2 Emissionen sind auf den Bereich Gebäude zurückzuführen“, erklärt Architekt Andreas Eichlinger. „Davon wiederum hat die Graue Energie, also die Energie, die gebraucht wird, um ein Gebäude zu errichten, einen Anteil von bis zu 50 Prozent.“ Die Mentalität, in der heutzutage abgerissen würde, um neu zu bauen, negiere den aktuellen Notstand von Umwelt und Ressourcen, meint Eichlinger, der zusammen mit den Architektinnen Helena Eichlinger und Daniela Groß zum Umdenken auffordert. In deutschen Großstädten, besonders in München, würden z.T. Gebäude abgerissen, die erst 30 oder 40 Jahre alt sind. „In Gebäuden, die für den Abriss vorgesehen sind, wird teilweise jahrelang Leerstand verursacht und dies oftmals mit der Perspektive auf ein Bauvorhaben einfach so akzeptiert“, beklagt Eichlinger. Menschen würden aus ihrem Viertel verdrängt, der Druck auf den Wohnungsmarkt wachse durch Leerstand, die Gentrifizierung werde angeheizt und historische Gebäude würden eliminiert. Der Architekt benennt die Westendstr. 35, Ligsalzstr. 25 und Schwanthalerstr. 119, wo bereits abgebrochen wurde oder ein Abriss geplant ist. „Ein Stück gewachsene Identität des Westends“ sieht Eichlinger damit verloren gehen.
Gesellschaftlich und politisch steht die Frage zum Städtebau und dem „wie wollen wir in Zukunft leben“ längst zur Diskussion. Die Meinungen gehen auseinander, ob der Zweck (also die Abrisse), das Mittel (neuer Wohnraum) heiligt. Vergeblich hatte man sich im Westend z.B. für den Erhalt des Hauses in der Ligsalzstraße 25 eingesetzt, wo einst die „Büchergalerie“ zu Hause war. Sobald hier die letzte Mietpartei ausgezogen ist, soll das über 100 Jahre alte Haus abgerissen werden. Die Erzdiözese München-Freising, in deren Besitz sich das Haus befindet, will hier neu bauen. Geplant sind Wohnungen nach dem „München Modell“, also ein sozial geförderter Wohnungsbau. An der Westendstraße 35 wurde abgebrochen, um Wohnungen für ehemals obdachlose Frauen zu schaffen. Das sogenannte Dönerhaus (Schwanthalerstraße 119), das unter Denkmalschutz stand, wurde nach sehr langem Leerstand abgerissen. Zur Erleichterung vieler hatte der neue Eigentümer das Gebäude aus seinem jahrelangen Dämmer- und Verfall-Schlaf gekauft. Der Münchner Bauträger will jetzt ein Boardinghaus mit 30 Apartments auf sechs Etagen schaffen. Betriebsaufnahme ist für das I. Quartal 2024 geplant. Gewünscht hätte man sich im Westend lieber neue Wohnungen.
Im BA 8 teilen viele Mitglieder Eichlingers Meinung und sprechen sich für eine „Bewusstseinsänderung“ und mehr Erhalt von Bestandsbauten aus. Das Gremium kann aber nur mit Aufklärung und Kommunikation unterstützen und will mit Wohnbaugesellschaften, privaten Bauherren wie auch Institutionen ins Gespräch kommen. Auf das geltende Baurecht aber habe leider der BA aber auch die Stadt keinen Einfluss, erklärt BA-Vorsitzende Sibylle Stöhr (Grüne).