Acht Biografien von jüdischen Personen und Familien aus den Tagen des Novemberpogroms lasen Mitglieder der verschiedenen Fraktionen im Bezirksausschusses (BA) 22 auf der Gedenkveranstaltung zum 85. Jahrestag des 9. November 1938 vor. Darunter waren auch Nachbarn aus Aubing wie die Fabrikantenfamilie Bloch. Den Veranstaltungsort „Helfende Hände“ hatte der BA mit Bedacht gewählt. Die Einrichtung kümmert sich um Menschen mit schweren Mehrfachbehinderungen. „Wäre er in der Nazizeit geboren, wäre mein Sohn mir weggenommen und getötet worden“, so Elternvertreter Florian Jaenicke.
Die Zeiten haben sich geändert. Schwerstbehinderte bekommen in der Einrichtung Sicherheit, Wertschätzung und auch ein stückweit „Normalität“, betonte Jaenicke. Während der Lesung kam ein Betreuer mit seinem Schützling in den Raum. Der junge Mann blickte offen und neugierig in die Runde. Er freute sich und schmiegte sich vertrauensvoll an seinen Begleiter. Es war dieser Anblick der Freude und Zufriedenheit, der das Ziel der Veranstaltung am besten symbolisierte, nämlich eine „Auszeit vom Alltag“ zu nehmen und die „Menschen in den Vordergrund zu rücken, die so viel mitgemacht haben“, betonte BA-Vorsitzender Sebastian Kriesel.
Dann erinnerten die BA-Mitglieder an Joachim Both, der in seiner Wohnung erschossen wurde, an Felix Feuchtwanger und Gustav Böhm, die beide so schwer misshandelt wurden, dass sie starben, an Karl Adler, der in Dachau umkam, an Käthe Silbersohn und Laura Marxsohn, die sich beide das Leben nahmen, an Harry Marcus, der auf der Überfahrt nach Südamerika als deutscher Spion bezichtigt wurde und an Moritz und Sohn Kurt Bloch, die in Aubing die „chemische Fabrik“ besessen hatten. 1917 hatte der Fabrikant das Ehrenbürgerrecht verliehen bekommen, weil er Arbeitsplätze geschaffen und sich sozial engagiert hatte, las BA-Mitglied Brigitte Bacak vor. „Zeitzeugen berichten, dass er ein feiner Mann war“. Ein paar Jahre später sollte sich alles ändern. Am Morgen des 8. Novembers dürfen die Blochs auf Anordnung der Nationalsozialisten ihre Firma in Aubing nicht mehr betreten. Die Firma musste zwangsweise verkauft werden. Kurt Bloch kann nach einem KZ-Aufenthalt in Dachau 1939 nach England emigrieren, sein Vater geht nach Amerika. „Fünf der Geschwister sterben in Theresienstadt, Treblinka und Warschau“.
Am Schluss erinnerte Bacak an das Gebetshaus in der Dickensstraße 17. In der Straße gab es Sozialwohnungen, die nach dem Krieg jüdischen Familien zugewiesen wurden. Für sie wurde die einfache Synagoge für etwa 40 Gottesdienstbesucher eingerichtet. Zum traditionellen Laubhüttenfest wurden auch nicht-jüdische Nachbarn zum Essen eingeladen. Anfang der 1970er Jahre löste sich die kleine Gemeinschaft auf, in den 1980er Jahre wurde der Bau abgebrochen. Das Ensemble vom Klaus-Ammann-Orchester begleitete die Veranstaltung musikalisch.