Veröffentlicht am 31.10.2024 16:36

Die Münchner und das liebe Geld – eine kritische Rückschau und Einordnung


Von Alfons Seeler
Planungsintensiv: Profifußball beim TSV 1860 München.  (Symbolbild: Anne Wild)
Planungsintensiv: Profifußball beim TSV 1860 München. (Symbolbild: Anne Wild)
Planungsintensiv: Profifußball beim TSV 1860 München. (Symbolbild: Anne Wild)
Planungsintensiv: Profifußball beim TSV 1860 München. (Symbolbild: Anne Wild)
Planungsintensiv: Profifußball beim TSV 1860 München. (Symbolbild: Anne Wild)

Es rauscht gewaltig im Münchner Blätterwald. In dicken Schlagzeilen berichten die lokalen Gazetten über eine angeblich drohende Insolvenz der Profifußball-Tochter des TSV 1860 München. Dabei könnten die Berichterstatter schlicht Artikel aus den Vorjahren recycelt haben. Denn was der interessierten Leserschaft als brisante Eilmeldung verkauft wird, ist in Wirklichkeit ein um diese Jahreszeit regelmäßiger Vorgang und in Giesing seit acht Jahren geübte Praxis.

Aufgrund seines hohen Verschuldungsgrades muss der Klub jährlich eine von Wirtschaftsprüfern testierte Fortführungsprognose erstellen, die die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit der Profifußball-Gesellschaft für einen Zeitraum von zwei Jahren bestätigt. Die Fortführungsprognose ist Bestandteil der Lizenzierungsauflagen des DFB. Entsprechende Sicherheiten sind gegenüber dem Verband nachzuweisen.

Worum geht es? Seit dem sportlichen Abstieg aus der 2. Bundesliga und dem anschließenden Zwangsabstieg in die Regionalliga Bayern ist die TSV München von 1860 GmbH & Co. KGaA bilanziell überschuldet. Ihr Gesellschafter Hasan Abdullah Ismaik und die von ihm eingesetzten Geschäftsführer hatten den Verein unter Duldung der damaligen Vereinsführung um Präsident Peter Cassalette mit Krediten tief in die roten Zahlen getrieben. Hinzu kam der für einen Zweitligisten unrentable Spielbetrieb in der viel zu großen und teuren Allianz Arena in Fröttmaning, der dem Klub jedes Jahr ein dickes Minus bescherte. Diese Entwicklung ist kein Geheimnis. Sie lässt sich in den im Bundesanzeiger veröffentlichten Bilanzen der TSV München von 1860 GmbH & Co. KGaA nachvollziehen.

Im Jahr 2011 war der schillernde arabische Geschäftsmann Ismaik über eine seiner Beteiligungsgesellschaften – HAM International mit Sitz in Dubai – bei den Löwen eingestiegen. Wie die Süddeutsche Zeitung in ihrem hörenswerten Podcast „Inside 1860” berichtet, wurde der Investor indirekt von Uli Hoeneß vermittelt. Der TSV München von 1860 GmbH & Co. KGaA drohte damals die Insolvenz und damit dem FC Bayern der Verlust des lukrativen Mieters der Allianz Arena. Abgesehen von dem in der Presse kolportierten Kaufpreis in Höhe von 13 Millionen Euro, mit dem Altverbindlichkeiten abgelöst wurden, erfolgten alle weiteren Investitionen Ismaiks in die TSV München von 1860 GmbH & Co. KGaA einzig und allein in Form von Darlehen.
Im bestehenden Kooperationsvertrag zwischen dem Mutterverein und HAM International ist vereinbart, dass HAM International alle finanziellen Aufwendungen im Zusammenhang mit dem Profifußball trägt, die nicht durch Einnahmen der TSV München von 1860 GmbH & Co. KGaA selbst gedeckt sind. Budgetfreigaben obliegen dem Aufsichtsrat der Profifußball-Gesellschaft, in dem HAM International über die Stimmenmehrheit verfügt. Als nach dem sportlichen Abstieg im Sommer 2017 die vom DFB geforderten finanziellen Sicherheiten für eine Drittliga-Lizenz erbracht werden mussten, senkte Ismaik den Daumen. Die Löwen mussten den Gang in die Regionalliga Bayern antreten. Präsident Cassalette hatte zuvor bereits fluchtartig das Weite gesucht.

Die im Sommer 2017 neu ins Amt gekommenen Vereinsvertreter um Robert Reisinger erkannten, in welchen Teufelskreis die TSV München von 1860 GmbH & Co. KGaA mit ihrer Kreditpolitik geraten war und verordneten dem Unternehmen einen Konsolidierungskurs. Seither gibt es keine galoppierende Neuverschuldung mehr. Laut den veröffentlichten Bilanzen im Bundesanzeiger kletterte zwischen 2011 und 2017 der Bilanzverlust der TSV München von 1860 GmbH & Co. KGaA auf in Summe knapp 63 Millionen Euro. Im Schnitt also um 10,5 Millionen Euro pro Jahr. Im Zeitraum von 2017 bis 2022 stieg die Verschuldung kumuliert um rund 8 Millionen Euro. Im Durchschnitt also um knapp 1,6 Millionen Euro pro Jahr.

Vor allem durch die Corona-Pandemie ab Ende 2020, als unter Ausschluss der Öffentlichkeit vor leeren Rängen gespielt werden musste, fehlten der TSV München von 1860 GmbH & Co. KGaA Einnahmen, die andere Klubs im Profifußball durch staatliche Wirtschaftshilfen ausgleichen konnten. Im Fall der Giesinger war dieses Instrument nicht zulässig, da das Unternehmen bereits zuvor in finanziellen Schwierigkeiten steckte und der Firmensitz des Mehrheitsgesellschafters Ismaik zudem in einer sogenannten Steueroase liegt – beides sind Ausschlusskriterien für Corona-Hilfen. Ismaik musste also selbst für das finanzielle Überleben der TSV München von 1860 GmbH & Co. KGaA sorgen.

Ein Unternehmen, das bilanziell überschuldet ist, muss nicht automatisch Insolvenz anmelden, wenn ihm im Tagesgeschäft genügend Liquidität zur Verfügung steht, um seinen finanziellen Verpflichtungen nachkommen zu können. Dies ist beim TSV 1860 München der Fall. Hasan Ismaik selbst ist der größte Gläubiger des Unternehmens, an dem er 60 Prozent der Anteile hält. Eine Insolvenz der TSV München von 1860 GmbH & Co. KGaA liegt nicht in seinem wirtschaftlichen Interesse. Seine Anteile würden dadurch praktisch wertlos. Gegenüber der Münchner Abendzeitung erklärte Präsident Robert Reisinger mit Blick auf die aktuelle Diskussion in den Medien: „Die Gesellschafter haben sich zu diesem Thema ausgetauscht. HAM International wird seinen Verpflichtungen nachkommen.” Im Gegenzug finanziert seit dem Sommer 2017 der Mutterverein die Ausbildung im Nachwuchsleistungszentrum des Klubs. (as)

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