Die vor zwei Jahren gestartete Hauptschulinitiative kommt nach Angaben des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) an den Schulen nur schleppend oder gar nicht voran. Dies ergebe eine vom BLLV Ende vergangenen Schuljahres durchgeführte Befragung von rund 600 Hauptschullehrern. Danach attestieren 88 Prozent der Befragten Bayerns Schul- und Bildungspolitikern, „nicht gut“ über die Probleme an den Schulen informiert zu sein. 90 Prozent fühlt sich von ihr „im Stich gelassen“, 63 Prozent erteilen der bayerischen Schulpolitik die Noten „mangelhaft“ oder „ungenügend“, 28 Prozent finden sie „ausreichend“.
Nur eine Person bewertet sie als „sehr gut“ und nur drei Personen als „gut“. 94 Prozent der Lehrkräfte schätzen die Zukunft der Hauptschule „nicht positiv und optimistisch“ ein. 80 Prozent plädieren für eine längere gemeinsame Schulzeit, 84 Prozent sprechen sich für die Erprobung von Modellen integrierter Haupt- und Realschulen aus. 82 Prozent halten maximal 25 Schüler pro Klasse für „unverzichtbar“, um die Situation an Hauptschulen deutlich zu verbessern, 77 Prozent wollen „mehr Zeit für Förderung“. BLLV-Präsident Klaus Wenzel sprach von einem „erschütterndem Zeugnis für die Politik“. Gleichzeitig aber auch von einer klaren Botschaft: „Die Hauptschule darf nicht länger schön geredet, gleichzeitig aber nur halbherzig reformiert werden. Fakt ist, dass die Stimmung an den Hauptschulen miserabel ist - genauso wie die Perspektiven der Schüler.“
Aus Kreisen des Kultusministeriums heißt es dagegen, dass die Hauptschulinitiative positive Wirkungen zeigt. Die Initiative biete den Schülern eine qualitativ hochwertige Bildung an und verbessert in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft die Berufschancen für Hauptschüler. „Diese ersten Ergebnisse lassen sich auch der Umfrage des BLLV zum Problemlösungspotential der Hauptschulinitiative entnehmen“, betont Kultusminister Siegfried Schneider, der die Hauptschulinitiative 2006 angestoßen hatte.
„Die Hauptschulinitiative hält nicht, was sie verspricht. Staatsregierung und Kultusministerium müssen zur Kenntnis nehmen, dass sich Lehrer und Schüler nichts mehr vormachen lassen“, erklärt Wenzel. „Lehrerinnen und Lehrer sehen darin nur wenig Gewinn für ihre Schulen.“ Die Initiative sichere auch keinen Standort. Im Gegenteil: Bei allgemein sinkenden Schülerzahlen steigen nach BLLV-Angaben die Übertritte in Gymnasien und Realschulen. Dies gehe ausschließlich zu Lasten der Hauptschulen. Seit Beginn des Schulversuchs zur sechsstufigen Realschule mussten 71 voll ausgebaute Hauptschulen und 574 Teilhauptschulen schließen. Die Beschlüsse zur Schließung weiterer elf Hauptschulen und zwölf Teilhauptschulen im kommenden Schuljahr seien heute schon gefasst – in der Summe mache das 40 Prozent aller Hauptschulen in Bayern aus. „Das bisher wohnortnahe Schulnetz wurde bereits empfindlich ausgedünnt, betroffene Kommunen nachhaltig geschwächt. Um das Schulsterben zu stoppen, muss die Staatsregierung das vom BLLV entwickelte Konzept zur ‚Regionalen Schulentwicklung’ (RSE) ohne Einschränkungen genehmigen“, fordert Wenzel. Sein Fazit der Befragung lautet: „Die Hauptschule hat weder an Attraktivität gewonnen, noch wird sie von Eltern als gleichwertige Alternative zur Realschule oder zum Gymnasium wahrgenommen.“
Der BLLV wollte wissen, in welchem Umfang die Hauptschulinitiative Veränderungen an den Schulen bewirkt hat, welche Maßnahmen neu eingeführt, ausgebaut oder wenigstens geplant wurden. Am günstigsten wird nach Angaben des BLLV der Ausbau der Berufsvorbereitung (48 Prozent) und des Praxisanteils an den Schulen (40 Prozent) bewertet. Die Einrichtung von Ganztagsklassen erwähnen 43 Prozent der Befragten. Große Teile der Reformen sind an den Schulen längst gängige Praxis. So geben 50 Prozent der Befragten an, die „Eltern einzubeziehen“, 47 Prozent setzen „selbständige Lernformen“ im Unterricht ein und 56 Prozent „kooperieren bereits mit Ausbildern.“ Für eine verbesserte individuelle Förderung fehlen jedoch bei 47 Prozent die erforderlichen Ressourcen. Mehr Lernzeit für Lernschwächere erfordern mehr Lehrerstunden, die 61 Prozent der Befragten nicht haben. „Maßnahmen, die von engagierten Lehrkräften zum Nulltarif zu bekommen sind, werden umgesetzt. Reformen, die Geld kosten, bleiben dagegen weitgehend aus“, kritisiert Wenzel. „Am meisten leiden darunter die Schüler, die besondere Lernunterstützung brauchen.“
Um die Zukunft der Hauptschülerinnen und -schüler zu sichern, müssen nach Meinung der befragten Lehrerinnen und Lehrer neben einer längeren gemeinsamen Schulzeit und einer maximalen Klassengröße von 25 Schülern: mehr Zeit und Personal zur Verfügung stehen (99 Prozent), mehr Zeit für individuelle Betreuung und Beratung von Schülern und Eltern vorhanden sein (100 Prozent), mehr Unterstützung durch Sonderpädagogen und Sozialpädagogen gewährleistet sein (98 Prozent), mehr Leitungszeit für Schulleitungen zur Verfügung stehen (97 Prozent) und den Schulen mehr Entscheidungsfreiheit zugestanden werden (95 Prozent).
Nach Angaben von Kultusminister Schneider liegt die durchschnittliche Klassenstärke bei Hauptschulen deutlich unter der vom BLLV geforderten Zahl von 25 Schülern. Sie konnte, so Schneider weiter, zum aktuellen Schuljahr nochmals um 0,2 Schüler abgesenkt werden und liege nun bei 21,0 Schülern. Damit sei individuelle Förderung in einem Maße wie nie zuvor möglich. 87 Prozent aller Hauptschulklassen hätten maximal 25 Schüler, fast 50 Prozent nur bis zu 20 Schüler. Das Schüler-Lehrerverhältnis habe sich an Hauptschulen durch die Rahmenbedingungen, die die bayerische Staatsregierung gesetzt hat, seit 1990/1991 immer weiter verbessert. Lag es 1997/1998 noch bei 15,8 Schülern je Lehrkraft, so betrug es im Schuljahr 2007/2008 noch 13,7 Schüler pro Lehrkraft. Rund 200 Planstellen sollen in den kommenden Haushaltsjahren dafür bereit gestellt werden, dass die Schulleiter mehr Zeit in die Führungsaufgabe einbringen können. „Die Chancen der bayerischen Hauptschüler auf eine Ausbildungsstelle und einen Arbeitsplatz werden wir weiter verbessern“, erklärt Minister Schneider. Die Hauptschulinitiative sei dazu ein wichtiges Instrument.
Die überwiegende Mehrheit der befragten Lehrer ist nach BLLV-Angabe der Überzeugung, dass mit der Initiative des Ministeriums die aktuellen Probleme an den Hauptschulen nicht gelöst werden können. Mit ihr lassen sich „Schulschließungen nicht vermeiden“ (96 Prozent), eben so wenig das „Image der Schulart“ (93 Prozent) oder die Akzeptanz der Hauptschüler“ (84 Prozent) verbessern. 96 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass auch die soziale Auslese von Schülern so nicht reduziert werden kann. Nur 13 Prozent geben an, die Hauptschulinitiative eröffne Möglichkeiten zur „Steigerung des Lernerfolgs“. Nur 15 Prozent glauben, die Hauptschulinitiative „sichert Ausbildungschancen“ und nur weitere 15 Prozent sind der Auffassung, dass sich so die Zahl der Hauptschüler ohne Anschluss verringern lässt. Ganze vier Prozent sehen in der Initiative „Lösungen für die aktuellen Probleme“.
Mit Blick auf die Umfrage unter Lehrkräften, die im BLLV organisiert sind, betont Schneider: „Einige Anliegen, die bei der Erhebung angesprochen worden waren, sind bereits umgesetzt oder werden gegenwärtig realisiert“. So verwies Minister Schneider in diesem Zusammenhang darauf, dass eine stärkere individuelle Förderung der Schüler durch den forcierten Ausbau der Ganztagsschulen vorangetrieben wird. An 320 Standorten können Hauptschüler gebundene Ganztagsklassen besuchen, davon an 18 Standorten bereits in zwei Zügen. Für das kommende Schuljahr sei der weitere Aufbau von zusätzlich 100 Ganztagszügen an Hauptschulen vorgesehen. Der Freistaat Bayern investiere in jede Ganztagsklasse zwölf Lehrerstunden pro Woche sowie 6.000 Euro im Jahr. Über ein flächendeckendes Angebot an Fortbildungen würden seit Beginn der Initiative alle Lehrkräfte und Schulleiter auf die Umsetzung der Anforderungen der Hauptschulinitiative vorbereitet. Im Mittelpunkt des aktuellen Schuljahres stehe dabei die Fortbildungen zu Maßnahmen der Berufsorientierung.
„Wenn wir den von uns eingeschlagenen Weg konsequent weiter beschreiten, kommen wir unserem Ziel immer näher, dass alle Schüler die Hauptschule mit der Ausbildungsreife verlassen“, sagt Schneider. Unter Nutzung der Daten einer Erhebung, die das Kultusministerium nach eigenen Angaben jüngst an allen bayerischen Hauptschulen durchgeführt hat, ergänzt der Minister: 75 Prozent der Hauptschulen bieten zusätzliche Praktika an, 73 Prozent der Hauptschulen haben im vergangenen Schuljahr Maßnahmen zur vertieften Berufsorientierung durchgeführt. An mehr als der Hälfte aller Hauptschulen unterstützen „Paten“ aus der Wirtschaft die Schüler bei der Berufsfindung. Zwischen dem Kultusminister und den Spitzenverbänden der bayerischen Wirtschaft wurde der Pakt „Hauptschule-Wirtschaft“ geschlossen. Schneider: „Das sind Fakten, die Mut machen und sich nicht wegdiskutieren lassen.“